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Neuerliche Anrufung des EuGH zur Getränkesteuer VwGH Beschluß 2000/16/0640 vom 23.3.2001, Volltext
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?? Und wo ist die Kernfrage des Ganzen?
Quelle:
RIS-Text
RIS-Dokumentnummer:
JWT/2000160640/20010323X00
Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden
Senatspräsident Mag. Meinl und die Hofräte Dr. Steiner, Dr.
Fellner, Dr. Höfinger und Dr. Kail als Richter, im Beisein der
Schriftführer Mag. Valenta und MMag. Schärf, in den
Beschwerdesachen der
1) Weber's Wine World HandelsgesmbH in Mödling, vertreten
durch die Perchtoldsdorfer Wirtschaftsberatungs GmbH,
Wirtschaftsprüfer in 2380 Perchtoldsdorf, Wiener Gasse 146,
2) Ernestine Rathgeber in Wien, vertreten durch Mag. Wolfgang
Ilgenfritz, Wirtschaftsprüfer in 9500 Villach, Haydnstraße 5,
3) Karl Schlosser in Wien, vertreten durch Dorda Brugger &
Jordis Rechtsanwälte GmbH, Rechtsanwälte in 1010 Wien, Dr. Karl
Lueger-Ring 12 und
4) Beta-Leasing GesmbH in Wien, vertreten durch die Dr.
Arnold Rechtsanwalts-Kommandit-Partnerschaft, Rechtsanwalts KEG in
1010 Wien, Wipplingerstraße 10,
gegen die Bescheide der Abgabenberufungskommission Wien vom
6. September 2000, Zlen. 1.) MD-VfR - W 21/2000, 2.) MD-VfR -
R13/2000, 3.) MD-VfR - S 58/2000 und 4.) MD-VfR - B 76/2000 u.a.
betreffend Rückzahlung von Getränkesteuer auf alkoholische
Getränke für die Zeit von 1995 bis 1998, den Beschluss gefasst:
Spruch
Dem Gerichtshof der Europäischen Gemeinschaften wird folgende
Frage zur Vorabentscheidung vorgelegt:
Stehen Artikel 10 EG (ex Artikel 5 EG-Vertrag) und der
Spruchpunkt 3. des Tenors des Urteiles des Gerichtshofes der
Europäischen Gemeinschaften vom 9. März 2000 in der Rechtssache C-
437/97, Evangelischer Krankenhausverein
Wien/Abgabenberufungskommission Wien und Wein & Co. HandelsgesmbH,
früher Ikera Warenhandelsgesellschaft mbH/Oberösterreichische
Landesregierung, Slg. 2000, I-1157, wonach sich niemand auf
Artikel 3 Absatz 2 der Richtlinie 92/12/EWG berufen kann, um
Ansprüche betreffend Abgaben wie die Steuer auf alkoholische
Getränke, die vor Erlass dieses Urteiles entrichtet wurden oder
fällig geworden sind, geltend zu machen, es sei denn, er hätte vor
diesem Zeitpunkt Klage erhoben oder einen entsprechenden
Rechtsbehelf eingelegt, der Anwendung der mit der Novelle der
Wiener Abgabenordnung (WAO) vom 2. März 2000, LGBl. Nr. 9/2000,
geschaffenen, auch auf vor der Kundmachung dieser Novelle
entstandene Steuerschuldverhältnisse anzuwendenden Bestimmung des
§ 185 Absatz 3 WAO entgegen, wonach ein Rückzahlungsanspruch
insoweit nicht zusteht, als die Abgabe wirtschaftlich von einem
Anderen als dem Abgabepflichtigen getragen wurde?
Begründung
1.) Sachverhalt:
Die Erstbeschwerdeführerin betreibt einen Weinhandel, die
übrigen Beschwerdeführer betreiben jeweils ein Restaurant. Sie
haben im Jahr 1998 Anträge auf Rückzahlung der von ihnen
entrichteten Getränkesteuer bezüglich bestimmter Perioden,
insgesamt für die Zeit zwischen 1995 bis 1998 an die
Abgabenbehörde erster Instanz (Magistrat der Stadt Wien, MA 4/7)
gerichtet. In diesen Anträgen machten sie geltend, dass die Steuer
der Verbrauchsteuerrichtlinie widerspreche und ihre Einhebung zu
Unrecht erfolgt sei. Die Abgabenbehörde erster Instanz wies die
Anträge ohne nähere Begründung ab. Alle Beschwerdeführer haben
dagegen berufen.
Nach Inkrafttreten der in der ersten Frage genannten Novelle
zur Wiener Abgabenordnung hielt die Abgabenbehörde erster Instanz
den Beschwerdeführern vor, dass ihre Verkaufspreise Inklusivpreise
einschließlich der Getränkesteuer seien.
Mit den im Rubrum genannten Bescheiden wies die belangte
Abgabenbehörde zweiter Instanz die an sie gerichteten Berufungen -
zumindest teilweise - ab. Sie vertrat dabei insbesondere die
Ansicht, dass das Gemeinschaftsrecht der Anwendung des § 185
Absatz 3 WAO nicht entgegenstehe.
Die Viertbeschwerdeführerin hat dagegen zunächst Beschwerde
an den Österreichischen Verfassungsgerichtshof erhoben. Der
Verfassungsgerichtshof wies diese Beschwerde mit seinem Erkenntnis
vom 29. November 2000, B 1735/00, als unbegründet ab und trat sie
dem Verwaltungsgerichtshof zur Entscheidung darüber ab, ob die
Beschwerdeführerin durch den angefochtenen Bescheid in einem
sonstigen Recht verletzt worden ist. Die übrigen Beschwerdeführer
wandten sich unmittelbar an den Verwaltungsgerichtshof.
Alle Beschwerdeführer erachten sich in ihrem Recht auf
Rückforderung der in Widerspruch zum Gemeinschaftsrecht erhobenen
Getränkesteuer verletzt. Sie machen insbesondere geltend, dass die
im Nachhinein beschlossene nationale Bestimmung gegen das
Treuegebot des Artikel 10 EG verstoße und dass durch die
rückwirkende Schaffung des § 185 Absatz 3 WAO eine Verletzung des
Vertrauensschutzes gegeben sei. Weiters behaupten sie
übereinstimmend, dass eine Überwälzung an die Verbraucher nicht
erfolgt sei.
Die belangte Behörde hat in ihren Gegenschriften jeweils im
Ergebnis den gegenteiligen Standpunkt vertreten.
2. Die maßgeblichen Bestimmungen des Gemeinschaftsrechtes
lauten:
Artikel 10 EG (ex Artikel 5 EG-Vertrag):
"Die Mitgliedstaaten treffen alle geeigneten Maßnahmen
allgemeiner oder besonderer Art zur Erfüllung der Verpflichtungen,
die sich aus diesem Vertrag oder aus Handlungen der Organe der
Gemeinschaft ergeben. Sie erleichtern dieser die Erfüllung ihrer
Aufgabe.
Sie unterlassen alle Maßnahmen, welche die Verwirklichung der
Ziele dieses Vertrages gefährden könnten."
Spruchpunkt 3. des Urteiltenors des Gerichtshofes der
Europäischen Gemeinschaften vom 9. März 2000 in der Rechtssache C-
437/97 lautet:
"3. Niemand kann sich auf Artikel 3 Absatz 2 der Richtlinie
92/12 berufen, um Ansprüche betreffend Abgaben wie die Steuer auf
alkoholische Getränke, die vor Erlass dieses Urteiles entrichtet
wurden oder fällig geworden sind, geltend zu machen, es sei denn
er hätte vor diesem Zeitpunkt Klage erhoben oder einen
entsprechenden Rechtsbehelf eingelegt."
In den Randnummern 55 bis 60 dieses Urteiles hat sich der
Gerichtshof ausführlich mit der Frage der zeitlichen Begrenzung
der Urteilswirkungen auseinandergesetzt.
3. Die maßgeblichen Bestimmungen des innerstaatlichen Rechtes
lauten:
§ 185 Wiener Abgabenordnung (WAO) in der hier maßgeblichen
Fassung des Artikel I der Novelle vom 2. März 2000, LGBl. Nr.
9/2000 (die zwischenzeitig ergangene Novelle LGBl. Nr. 7/2001 ist
in Kursivschrift eingearbeitet) lautet:
(1) Der Abgabepflichtige kann die Rückzahlung von Guthaben (§
162 Absatz 2) beantragen. Die Rückzahlung kann auch von Amts wegen
erfolgen.
(2) Gegen den Rückzahlungsbetrag können der Höhe nach
festgesetzte Abgabenschuldigkeiten aufgerechnet werden, die der
Abgabepflichtige nicht später als drei Monate nach der Stellung
des Rückzahlungsantrages zu entrichten haben wird.
(3) Ein Rückzahlungsanspruch steht insoweit nicht zu, als die
Abgabe wirtschaftlich von einem Anderen als dem Abgabepflichtigen
getragen wurde.; insoweit führt die Herabsetzung der
Abgabenfestsetzung durch Selbstbemessung oder Abgabenbescheid auch
nicht zu einer Gutschrift. Soweit eine derart überwälzte Abgabe
noch nicht entrichtet wurde, hat die Abgabenbehörde diese mit
gesondertem Bescheid vorzuschreiben.
(4) Absatz 3 ist nicht anzuwenden auf Abgabepflichtige,
soweit ihnen die Anlassfallwirkung für eine vom
Verfassungsgerichtshof als rechtswidrig erkannte Abgabenvorschrift
zukommt.
Artikel II der Novelle LGBl. Nr. 9/2000, mit der der Absatz 3
neu eingefügt wurde, bestimmt:
"Artikel I ist auch auf vor der Kundmachung dieses Gesetzes
entstandene Steuerschuldverhältnisse anzuwenden."
4.) Formelle Voraussetzungen der Vorlage:
Der Verwaltungsgerichtshof ist ein Gericht iS des Artikel 234
Absatz 3 EG (ex Artikel 177 Absatz 3 EG-Vertrag). Dies ist durch
die Spruchpraxis des Gerichtshofes der Europäischen Gemeinschaften
betreffend zahlreiche, bereits vom Verwaltungsgerichtshof
eingeleitete Vorabentscheidungsverfahren, nicht zuletzt im Rahmen
der Rechtssache C-437/97 bestätigt worden, sodass die
Vorlageberechtigung des Verwaltungsgerichtshofes keiner weiteren
Begründung bedarf.
5.) Materiellrechtliche Voraussetzungen der Vorlagefragen:
Der Gerichtshof der Europäischen Gemeinschaften (im Folgenden
kurz: EuGH) hat im Rahmen eines vom Verwaltungsgerichtshof mit
Beschlüssen vom 18. Dezember 1997, Zlen. 97/16/0021 und
97/16/0221, initiierten Vorabentscheidungsverfahrens mit Urteil
vom 9. März 2000 in der Rechtssache C-437/97, Evangelischer
Krankenhausverein Wien/Abgabenberufungskommission Wien und Wein &
Co. HandelsgesmbH, früher Ikera Warenhandelsgesellschaft
mbH/Oberösterreichische Landesregierung, Slg. 2000, I-1157, u.a.
für Recht erkannt:
"2. Artikel 3 Absatz 3 der Richtlinie 92/12/EWG des Rates vom
25. Februar 1992 über das allgemeine System, den Besitz, die
Beförderung und die Kontrolle verbrauchsteuerpflichtiger Waren
steht der Beibehaltung einer auf alkoholfreie Getränke und
Speiseeis erhobenen Steuer wie der im Ausgangsverfahren streitigen
nicht entgegen. Artikel 3 Absatz 2 dieser Richtlinie steht jedoch
der Beibehaltung einer auf alkoholische Getränke erhobenen Steuer
wie derjenigen entgegen, um die es im Ausgangsverfahren geht."
Der Gerichtshof führte jedoch zu dem im Ausgangsverfahren von
der österreichischen Bundesregierung geltend gemachten schwer
wiegenden finanziellen Auswirkungen eines zur Erstattung der
streitverfangenen Getränkesteuer verpflichtenden Urteils und zu
dem Vorbringen, die Steuer sei von den Abgabenschuldnern ohnedies
über die Preise der Getränke auf die Verbraucher abgewälzt worden,
welcher Umstand von diesen mangels Aufbewahrung von
Zahlungsbelegen über den Steuerbetrag nicht nachgewiesen werden
könne, aus, auf den in Rede stehenden Gesamtbetrag, das Fehlen von
Zahlungsbelegen und die bedeutende Anzahl geringfügiger Umsätze,
bei denen es um kleine Beträge gehe, brauche nicht eingegangen zu
werden. Zwingende Gründe der Rechtssicherheit schlössen es nämlich
aus, dass Rechtsverhältnisse, die ihre Wirkungen in der
Vergangenheit erschöpft haben, in Frage gestellt werden, weil dies
das Finanzierungssystem der österreichischen Gemeinden rückwirkend
in seinen Grundlagen erschüttern würde (Randnr. 59).
Er hat deshalb entgegen dem Antrag des Generalanwalts Antonio
Saggio vom 1. Juli 1999 (Randnr. 70 der Schlussanträge)
ausnahmsweise (vgl. Randnr. 57 des Urteils) die zeitliche
Begrenzung der Wirkungen seines Auslegungsurteils eingeschränkt:
Nach Randnr. 60 des Urteils und Spruchpunkt 3. des
Urteilstenors "kann sich niemand auf Artikel 3 Absatz 2 der
Richtlinie 92/12 berufen, um Ansprüche betreffend Abgaben wie die
Steuer auf alkoholische Getränke, die vor Erlass dieses Urteils
entrichtet wurden oder fällig geworden sind, geltend zu machen, es
sei denn, er hätte vor diesem Zeitpunkt Klage erhoben oder einen
entsprechenden Rechtsbehelf eingelegt."
Mit diesem Urteilsspruch war die aus dem Treuegebot des
Artikels 10 EG abzuleitende Verpflichtung des betroffenen
Mitgliedsstaates verbunden, dem einzelnen Abgabepflichtigen, der
vor Ergehen dieses Urteils eine Klage erhoben oder einen
entsprechenden Rechtsbehelf eingelegt hat, die rechtswidrig
erhobene Getränkesteuer auf alkoholische Getränke zu erstatten
(siehe Geiger, EUV/EGV3, Randnr. 53 zu Artikel 10 EG). Wie der
EuGH in einem jüngst ergangenen Urteil (vom 8. März 2001 in den
verbundenen Rechtssachen C-397/98 und C-410/98;
METALLGESELLSCHAFT/HOECHST, Randnr. 84) unter Hinweis auf seine
ständige Rechtsprechung wiederholt hat, stellt das Recht auf
Erstattung von Abgaben, die ein Mitgliedstaat unter Verstoß gegen
das Gemeinschaftsrecht erhoben hat, eine Folge und eine Ergänzung
der Rechte dar, die den Einzelnen aus dem Gemeinschaftsrecht in
seiner Auslegung durch den Gerichtshof erwachsen; der
Mitgliedstaat ist also grundsätzlich verpflichtet, unter Verstoß
gegen das Gemeinschaftsrecht erhobene Abgaben zu erstatten.
Zum Begriffspaar "Klage oder entsprechender Rechtsbehelf" hat
der Verwaltungsgerichtshof in seinem Erkenntnis vom 19. Juni 2000,
Zl. 2000/16/0296, ausgeführt, dass seitens der betroffenen
Parteien "rechtzeitig Schritte zur Wahrung ihrer Rechte
unternommen werden" müssen und dass der Begriff Rechtsbehelf daher
im Sinne des zu gewährenden Rechtsschutzes möglichst weit zu
verstehen ist.
Die materielle Rechtslage betreffend die Getränkesteuer hat
sich seit dem Urteil des EuGH vom 9. März 2000 erheblich geändert.
Durch Steuersatzänderungen bei der Umsatzsteuer für die
betreffenden Waren erhalten die Gemeinden durch höhere
Ertragsanteile bei der Umsatzsteuer einen Getränkesteuerausgleich
(vgl. Artikel II des Bundesgesetzes BGBl. I Nr. 29/2000).
Angesichts der schwer wiegenden Auswirkungen des Urteils des
EuGH auf die Finanzlage der österreichischen Gemeinden bei einem
Erstattungsvolumen von etwa 22 Milliarden Schilling (vgl. Randnr.
62 der Schlussanträge des Generalanwalts) - wobei ein Grossteil
der Betroffenen rechtzeitig einen Rechtsbehelf ergriffen hat -
haben knapp vor Verkündung des obzitierten Urteils des EuGH die
österreichischen Bundesländer im Hinblick auf die erwartete
Aufhebung der Getränkesteuer auf alkoholische Getränke
Bestimmungen in ihre Landesabgabenordnungen (Salzburg am
14.12.1999, LGBl. 112/1999, § 182a; Tirol am 11.1.2000, LGBl.
1/2000, § 187a; Burgenland am 18.1.2000, LGBl. 6/2000, § 187a;
Niederösterreich am 31.1.2000, LGBl. 3400-7, § 186a; Steiermark am
29.2.2000, LGBl. 13/2000, § 186; Vorarlberg ebenfalls am
29.2.2000, LGBl. 9/2000, § 106a; Wien am 2.3.2000, LGBl. 9/2000, §
185; und Oberösterreich am 8.3.2000, LGBl. 19/2000, § 186a)
eingeführt, denen zufolge die Rückerstattung oder Kompensation von
zu Unrecht erhobenen Abgaben insoweit nicht zu erfolgen hat, als
die betroffene Abgabe auf einen Anderen überwälzt wurde. Kärnten
änderte die Landesabgabenordnung 1991 durch Einfügung eines §
188a, der die Überschrift "Ausschluss der Rückzahlung" trägt, erst
mit Gesetz vom 12. Juli 2000, LGBl. Nr. 54, § 188a).
In Wien sah § 185 Absatz 1 WAO schon vor der gegenständlichen
Novelle vor, dass der Abgabepflichtige die Rückzahlung von
Guthaben beantragen kann. Durch Artikel I des Gesetzes, mit dem
die Wiener Abgabenordnung geändert wird, LGBl. 9/2000, wurde dem §
185 u.a. folgender Absatz 3 angefügt:
"(3) Ein Rückzahlungsanspruch steht insoweit nicht zu, als
die Abgabe wirtschaftlich von einem Anderen als dem
Abgabepflichtigen getragen wurde. Soweit eine derart überwälzte
Abgabe noch nicht entrichtet wurde, hat die Abgabenbehörde diese
mit gesondertem Bescheid vorzuschreiben."
Nach Artikel II dieses Gesetzes ist Artikel I auch auf vor
der Kundmachung dieses Gesetzes entstandene
Steuerschuldverhältnisse anzuwenden.
Für den Verwaltungsgerichtshof erhob sich zunächst die Frage,
ob es gemeinschaftsrechtlich gestattet ist, dass ein
Mitgliedsstaat dann, wenn der EuGH bereits selbst in seinem Urteil
eine Beschränkung der Wirkungen seines Urteilsspruches vorgenommen
hat, eine zusätzliche Einschränkung der Wirkungen dieses Urteils
normiert. Der Verwaltungsgerichtshof hält die Frage, ob eine vom
EuGH ausgesprochene Beschränkung seiner Urteilswirkungen im Rahmen
der gemeinschaftsrechtlichen Grenzen durch eine weitere
innerstaatliche Bestimmung ergänzt werden darf, für grundsätzlich
geklärt:
Im Urteil vom 10. März 1992 in den verbundenen Rechtssachen C-
38/90 und C-151/90, "LOMAS", Slg. I-1781, hat der EuGH
ausgesprochen (Spruchpunkt 2. des Tenors), dass die Feststellung
der Ungültigkeit der dort gegenständlichen Verordnung nicht mit
Wirkung für die Zeit vor Erlass des Urteils geltend gemacht werden
könne; eine Ausnahme gelte für die Wirtschaftsteilnehmer oder ihre
Rechtsnachfolger, die vor diesem Zeitpunkt Klage erhoben oder
einen nach dem anwendbaren innerstaatlichen Recht gleichwertigen
Rechtsbehelf eingelegt haben. Auch in jenem Urteil führte der EuGH
aus, dass Ansprüche in Ansehung der Erstattung von bis zum Erlass
des diese Ungültigkeit der Verordnung feststellenden Urteils
entstandenen Abgaben erhebliche finanzielle Folgen wie auch schwer
wiegende Organisationsprobleme nach sich ziehen könnten, sodass
unter diesen Umständen zwingende Erwägungen der Rechtssicherheit
dagegensprächen, dass Rechtsverhältnisse, deren Wirkungen bereits
erschöpft sind, wieder in Frage gestellt würden und eine Ausnahme
von diesem Grundsatz nur zu Gunsten der Wirtschaftsteilnehmer
vorzusehen war, die ihre Rechte rechtzeitig geltend gemacht haben
(Randnr. 27ff).
Gegenstand des Urteiles des EuGH vom 8. Februar 1996 in der
Rechtssache C-212/94 (Slg. 1996, I-0389, FMC plc u.a.) waren
Erstattungsansprüche der dortigen Klägerinnen auf Grund der durch
das Urteil LOMAS für rechtswidrig erklärten Verordnung. Der High
Court of Justice, Queen' s Bench Division, hatte dem Gerichtshof
u.a. folgende Frage zur Vorabentscheidung vorgelegt:
"3. Ist Randnummer 30 des Urteils des Gerichtshofes in den
verbundenen Rechtssachen C-38/90 und C-151/90 (LOMAS u. a.) in
Bezug auf Ansprüche auf Erstattung von vor dem 10. März 1992
gezahlten Clawback-Beträgen dahin zu verstehen, dass sie es
Wirtschaftsteilnehmern, die vor diesem Zeitpunkt Klage erhoben
oder einen nach dem anwendbaren innerstaatlichen Recht
gleichwertigen Rechtsbehelf eingelegt haben, ermöglicht, sich auf
die Ungültigkeit der Artikel 4 Absatz 1 und 4 Absatz 2 der
Verordnung (EWG) Nr. 1633/84 der Kommission zu berufen ...".
Auf diese Frage hat der EuGH zu Recht erkannt (Spruchpunkt 3.
des Tenors):
"Randnummer 30 des Urteils vom 10. März 1992 in den
Rechtssachen C-38/90 und C-151/90 (Lomas u. a.) erlaubt es
Wirtschaftsteilnehmern und ihren Rechtsnachfolgern, die vor dem
10. März 1992 Klage erhoben oder einen nach dem anwendbaren
innerstaatlichen Recht gleichwertigen Rechtsbehelf eingelegt
haben, im Hinblick auf Anträge auf Erstattung vor diesem Zeitpunkt
zu Unrecht erhobenen Clawbacks, die Ungültigkeit des Artikels 4
Absätze 1 und 2 der Verordnung Nr. 1633/84 ab deren Inkrafttreten
geltend zu machen, sofern nicht nationale Bestimmungen im Rahmen
der gemeinschaftsrechtlichen Grenzen den vor der Antragstellung
liegenden Zeitraum begrenzen, für den die Erstattung zu Unrecht
erfolgter Zahlungen erlangt werden kann."
Dazu verwies der EuGH (Randnummer 74 des Urteils) auf seine
ständige Rechtsprechung, dass das Gemeinschaftsrecht eine
nationale Rechtsordnung nicht daran hindert, eine Erstattung zu
Unrecht erhobener Beträge zu verweigern, wenn dies zu einer
ungerechtfertigten Bereicherung des Berechtigten führen würde.
Daraus ergibt sich für den Verwaltungsgerichtshof
unzweifelhaft, dass die vom EuGH in seinem Urteil selbst
ausgesprochene Beschränkung der Urteilswirkungen nicht zum
Ausschluss jeglicher anderer Beschränkung führt, zumal der EuGH in
seiner ständigen Rechtsprechung (siehe abermals das schon genannte
Urteil vom 8. März 2001, METALLGESELLSCHAFT/HOECHST, Randnr. 85)
mangels einer Gemeinschaftsregelung über die Erstattung zu Unrecht
erhobener inländischer Abgaben auf die innerstaatliche
Rechtsordnung der einzelnen Mitgliedsstaaten verweist, soferne die
Verfahrensmodalitäten nicht weniger günstig gestaltet sind als die
entsprechender inländischer Klagen und die Ausübung der durch die
Gemeinschaftsrechtsordnung verliehenen Rechte dadurch nicht
praktisch unmöglich oder übermäßig erschwert werden.
Seit seinem Urteil vom 27. Februar 1980, Rechtssache 68/79,
"JUST", Slg. 1980, 501, hat der EuGH immer wieder ausgesprochen,
dass es den einzelstaatlichen Gerichten nach Gemeinschaftsrecht
freistehe, nach ihrem nationalen Recht den Umstand zu
berücksichtigen, dass ohne rechtlichen Grund erhobene Abgaben in
die Preise des abgabepflichtigen Unternehmens einfließen und auf
die Abnehmer abgewälzt werden können. Im Urteil vom 9. Februar
1999, Rechtssache C-343/96, "DILEXPORT", Slg. 1999 I-579, hat der
EuGH im Spruchpunkt 2. des Urteilstenors ausgesprochen, dass das
Gemeinschaftsrecht es einem Mitgliedstaat nicht verwehre, nach dem
Erlass von Urteilen des Gerichtshofes, in denen Abgaben für
gemeinschaftsrechtswidrig erklärt werden, Vorschriften zu
erlassen, nach denen die Voraussetzungen für die Erstattung dieser
Abgaben weniger günstig sind, als sie es ohne diese Vorschriften
wären, sofern sich diese Änderung nicht speziell auf die
betreffenden Abgaben bezieht und die neuen Vorschriften die
Ausübung des Rechts auf Erstattung nicht unmöglich machen oder
übermäßig erschweren.
Im Urteil vom 21. September 2000, Rechtssachen C-441/98, C-
442/98, "KAPNIKI MICHAILIDIS", hat der EuGH für Recht erkannt,
dass das Gemeinschaftsrecht es einem Mitgliedstaat zwar nicht
verwehre, die Erstattung von unter Verstoß gegen
Gemeinschaftsvorschriften erhobenen Abgaben abzulehnen, wenn
nachgewiesen ist, dass die Erstattung zu einer ungerechtfertigten
Bereicherung führen würde. Es schließt aber die Anwendung von
Vermutungen oder Beweisregeln aus, mit denen dem betreffenden
Wirtschaftsteilnehmer die Beweislast dafür auferlegt werden soll,
dass die ohne Rechtsgrund gezahlten Abgaben nicht auf andere
abgewälzt worden sind, und mit denen er daran gehindert werden
soll, Beweismittel vorzulegen, um eine angebliche Abwälzung zu
widerlegen.
Zuletzt wurde im Urteil vom 28. November 2000, Rechtssache C-
88/99, "ROQUETTE FRERES SA", Randnr. 20, wiederholt, dass mangels
einer gemeinschaftsrechtlichen Regelung auf dem Gebiet der
Erstattung zu Unrecht erhobener nationaler Abgaben die Bestimmung
der zuständigen Gerichte und die Ausgestaltung des Verfahrens für
die Klagen, die den Schutz der den Einzelnen aus der unmittelbaren
Wirkung des Gemeinschaftsrechts erwachsenden Rechte gewährleisten
sollen, Sache der nationalen Rechtsordnung der einzelnen
Mitgliedstaaten sind; dabei dürfen freilich diese Bedingungen
nicht ungünstiger sein als diejenigen für entsprechende nur
nationales Recht betreffende Klagen, und sie dürfen nicht so
gestaltet sein, dass sie die Ausübung der Rechte, die die
nationalen Gerichte zu schützen verpflichtet sind, praktisch
unmöglich machen.
Nach Auffassung des Verwaltungsgerichtshofes erfüllt die
gegenständliche Bestimmung, nach der der Erstattungsanspruch nicht
besteht, wenn die Abgabe wirtschaftlich von einem Anderen getragen
wurde, im Zusammenhang mit dem hier anwendbaren Verfahrensrecht
grundsätzlich diese gemeinschaftsrechtlichen Voraussetzungen. Die
Bestimmung bezieht sich mit Rücksicht auf ihren allgemeinen
Wortlaut keineswegs nur auf die Erstattung von Abgaben, deren
Erhebung aus gemeinschaftsrechtlichen Gründen rechtswidrig war,
oder gar nur auf die Getränkesteuer. In Anbetracht der bestehenden
Verfahrensgarantien kann auch nicht gesagt werden, dass die
Ausübung des Rechtes auf Rückzahlung durch diese Bestimmung von
vornherein übermäßig erschwert oder gar unmöglich gemacht würde. §
185 WAO enthält nämlich keine speziellen Aussagen zur Beweislast,
zu zulässigen Beweismitteln oder gar zur Beweiswürdigung. Das
anzuwendende allgemeine Verfahrensrecht geht vom Grundsatz der
Amtswegigkeit bei der Ermittlung der maßgebenden Verhältnisse aus
(§ 90 Absatz 1 WAO). Es begnügt sich, soweit es um die Mitwirkung
des Abgabepflichtigen an der Sachverhaltsaufklärung geht, wenn der
Beweis nach den Umständen nicht zugemutet werden kann, mit der
Glaubhaftmachung (§ 107 Absatz 1 WAO) und lässt im Übrigen als
Beweismittel alles zu, was zur Feststellung des maßgebenden
Sachverhaltes geeignet und nach Lage des Falles dienlich ist (§
127 WAO).
Der Verwaltungsgerichtshof folgt damit der in diesem
Zusammenhang vom österreichischen Verfassungsgerichtshof in dem
gegenüber der Viertbeschwerdeführerin ergangenen Erkenntnis vom
29. November 2000, B 1737/00, Punkt 3.5. vertretenen Auffassung.
6.) Zur Vorlagefrage:
Der Wiener Landesgesetzgeber hat mit der Anordnung im Artikel
II der Novelle LGBl. Nr. 9/2000, dass die Änderung des § 185 WAO
auch auf vor der Kundmachung dieses Gesetzes (2. März 2000)
entstandene Steuerschuldverhältnisse Anwendung finden soll, diese
Bestimmung rückwirkend in Kraft gesetzt. Allen Abgabenpflichtigen,
die bezüglich der seit 1. Jänner 1995 (Beitritt Österreichs zur
Europäischen Gemeinschaft) entstandenen Steuerschuldverhältnisse
vor dem 9. März 2000 im Sinne des Urteils des EuGH in der
Rechtssache C-437/97 Rechtsbehelfe ergriffen haben, kann daher auf
Grund der erst am 2. März 2001 kundgemachten Beschränkung entgegen
gehalten werden, dass die Abgabe wirtschaftlich von einem Anderen
getragen wurde.
Der österreichische Verfassungsgerichtshof - der auch ein
Gericht im Sinne des Artikel 234 EG ist - hat im genannten
Erkenntnis vom 29. November 2000 eine
Gemeinschaftsrechtswidrigkeit des Artikel II der Novelle LGBl. Nr.
9/2000 verneint (Pkt. 4.3.).
Demgegenüber ist auf Folgendes hinzuweisen:
Mit einer rückwirkenden Beschränkung eines
Erstattungsanspruches hat sich Generalanwalt Damaso Ruiz-Jarabo
Colomer in seinen Schlussanträgen zu den Rechtssachen APRILE II,
Rechtssache C-228/96, Slg. 1998, I-7141 (Randnr. 35 ff) und
DILEXPORT, Rechtssache C-343/96, (Randnr. 26 ff) auseinander
gesetzt und auf ein Urteil der Corte suprema di cassazione vom 6.
November 1992 verwiesen. In dem genannten Urteil hat das (mit dem
österreichischen Verwaltungsgerichtshof vergleichbare)
italienische Höchstgericht die Rückwirkung der anzuwendenden
Vorschrift (einer Ausschlussfrist) bestätigt und erkannt, dass
wegen dieser Rückwirkung die Vorschrift nicht mit dem
Gemeinschaftsrecht vereinbar sei, sodass die nationalen Gerichte
von ihrer Anwendung abzusehen hätten. Dazu hat der Generalanwalt
in der Randnr. 28 seines Schlussantrages (DILEXPORT) ausgeführt:
"Die Unvereinbarkeit mit dem Gemeinschaftsrecht wäre
eindeutig im Hinblick auf die Erstattungsanträge, die vor dem
Inkrafttreten der neuen Fristen gestellt wurden. Denn der
Grundsatz der Rechtssicherheit lässt es nicht zu, dass diese
Rechtsbehelfe durch eine spätere, im Zeitpunkt der Antragstellung
nicht bestehende Vorschrift in Frage gestellt werden, die die
Rechtsstellung des Antragstellers verschlechtert. Dieser
Auffassung sind die italienischen Gerichte selbst gefolgt, indem
sie die rückwirkende Geltung des Artikels ausgeschlossen haben. "
Im Urteil DILEXPORT war der EuGH zur Beantwortung dieser
Frage selbst nicht mehr unmittelbar gestellt. Er hat aber
ausgeführt (Randnr. 42), es habe sich aus den vor dem Gerichtshof
abgegebenen schriftlichen und mündlichen Erklärungen ergeben, dass
die italienischen Gerichte einschließlich der Corte suprema di
cassazione diese Vorschrift dahin ausgelegt haben, dass die
Erstattung innerhalb von drei Jahren nach ihrem Inkrafttreten
verlangt werden kann und dass diese Vorschrift tatsächlich keine
Rückwirkung entfaltet.
Mit Rücksicht auf die jedenfalls vom Generalanwalt gebilligte
Rechtsmeinung eines anderen europäischen Höchstgerichtes zu einer
rückwirkenden Beschränkung liegt aber ungeachtet des zitierten
Erkenntnisses des österreichischen Verfassungsgerichtshofes
insbesondere vor dem Hintergrund des Treuegebotes des Artikel 10
EG und des zu schützenden Vertrauens derjenigen Abgabenschuldner,
die rechtzeitig einen Rechtsbehelf eingelegt haben, jedenfalls
keine zweifelsfreie Situation iS. des Urteiles des EuGH vom 6.
Dezember 1982 in der Rechtssache 283/81, C.I.L.F.I.T., Slg. 1982,
3415ff vor, weshalb die im Spruch formulierte Frage nach Ansicht
des Verwaltungsgerichtshofes dem Gerichtshof der Europäischen
Gemeinschaften gemäß Artikel 234 EG zur Vorabentscheidung
vorzulegen ist.
Zur Information wird mitgeteilt, dass in dem nach der
Geschäftsverteilung für die Gemeinde-Getränkesteuer zuständigen
Senat 16 des Verwaltungsgerichtshofes derzeit rund 300
gleichartige Beschwerden, zum Teil mit Anregungen
zur Einleitung eines Vorabentscheidungsverfahrens, anhängig sind.
Wien, am 23. März 2001