Quelle: Zeitschrift "NÖ Gemeinde", Folge 4/2001, S 23 ff
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VOLKSZÄHLUNG:
Die Frage nach dem Mittelpunkt

Volkszählung 2001 und Zentrales Melderegister

Mag. Christian Schneider (Landesgeschäftsführer des NÖ Gemeindevertreterverbandes der ÖVP)

Am 15. Mai findet die Großzählung 2001, also die "Volkszählung" statt. Die Besonderheit dieser Volkszählung liegt darin, dass sie letztmalig in der herkömmlichen Form stattfinden wird. Künftig werden keine Zählorgane mit umfangreichen Fragebögen zu den Haushalten ausschwärmen, sondern die Zählung wird auf Basis des noch zu erstellenden Zentralen Melderegisters (ZMR) registerunterstützt erfolgen. Über die Bedeutung der Volkszählung (VZ) für die Gemeinden und deren finanzielle Ausstattung möchte ich an dieser Stelle kein Wort verlieren, da dies als bekannt vorauszusetzen ist. Gesondert behandeln werde ich hier die für die Gemeinden bedeutsame "Wohnsitzerklärung" sowie das ZMR und dessen Möglichkeiten.

Wohnsitzerklärung. Mit § 15 a des Meldegesetzes wurde die sog. "Wohnsitzerklärung" eingeführt. Diese ist insbesondere mit der Frage des Hauptwohnsitzes (HWS), der wiederum die Grundlage für die Aufteilung der Ertragsanteile bildet, untrennbar verbunden. Gem. Art. 6 Abs. 3 B-VG bzw. § 1 Abs. 7 des Meldegesetzes ist unter dem HWS folgendes zu verstehen:

Hauptwohnsitz. Der HWS eines Menschen ist an jener Unterkunft begründet, an der er sich in der erweislichen oder aus den Umständen hervorgehenden Absicht niedergelassen hat, diese zum Mittelpunkt seiner Lebensbeziehungen zu machen. Trifft diese sachliche Voraussetzung bei einer Gesamtbetrachtung der beruflichen, wirtschaftlichen und gesellschaftlichen Lebensbeziehung eines Menschen auf mehrere Wohnsitze zu, so hat er jenen als HWS zu bezeichnen, zu dem er das überwiegende Naheverhältnis hat.

Dazu ist festzustellen, dass ein Mensch durchaus mehrere "Mittelpunkte der Lebensbeziehungen" haben kann. Ob ein solcher Mittelpunkt überhaupt vorhanden ist, ist von verschiedenen Kriterien abhängig:

Diese sind vor allem Aufenthaltsdauer, Lage des Arbeitsplatzes, der Ausbildungsstätte, Ausgangspunkt des Weges zum Arbeitsplatz oder zur Ausbildungsstätte, Wohnsitz er übrigen, insbesondere der minderjährigen Familienangehörigen, Ort an dem sie ihrer Erwerbstätigkeit nachgehen, ausgebildet werden, oder die Schule oder den Kindergarten besuchen, Funktionen in öffentlichen und privaten Körperschaften. Wird aufgrund dieser Kriterien festgestellt, dass eine Person mehrere Lebensmittelpunkte hat, so obliegt es ausschließlich dieser Person, jenen Ort zu bezeichnen, zu dem sie das überwiegende Naheverhältnis und damit den HWS hat. Nur wenn festgestellt wird, dass aufgrund der genannten Kriterien überhaupt nur ein Mittelpunkt der Lebensbeziehungen besteht, gibt es kein Wahlrecht des Betroffenen. Daraus ergibt sich aber auch, dass ein Reklamationsverfahren nur dann und nur dort Sinn macht, wo festgestellt wird, dass eine Person nur einen Mittelpunkt ihrer Lebensbeziehungen, und zwar in der reklamierenden Gemeinde hat.

Reklamationsverfahren. Gerade das Reklamationsverfahren war in der Vergangenheit für die Gemeinden in so ferne schwierig abzuführen, als der antragstellende Bürgermeister darzulegen hatte, aufgrund welcher Umstände die betreffende Person in seiner Gemeinde einen Mittelpunkt der Lebensbeziehungen hat, dabei aber nur jene Informationen verwenden durfte, die er selbst in Vollziehung eines Bundes- oder Landesgesetzes bereits ermittelt hatte oder die von der Meldebehörde ermittelt wurden. Eigene zusätzliche Ermittlungen durften dabei nicht angestellt werden. Ebenso wenig eine Inanspruchnahme von Organen des öffentlichen Sicherungsdienstes zur Durchführung entsprechender Erhebungen. Auch "Privatwissen" des Bürgermeisters durfte in das Verfahren nicht einfließen. Durch das geänderte Meldegesetz wird nun die Situation der Bürgermeister wesentlich verbessert. Gem. § 15 a Abs. 1 Meldegesetz wird der Bürgermeister nämlich ermächtigt, von Menschen, die in der Gemeinde angemeldet sind, zum Zweck der Überprüfung der Richtigkeit der im Melderegister gespeicherten Daten, die Abgabe einer sogenannten "Wohnsitzerklärung" zu verlangen. Damit wurde dem oftmals vorgebrachten Anliegen der Bürgermeister Rechnung getragen, eine rechtliche Grundlage zu erhalten, um von den Bürgern Informationen zur Wohnsitzanknüpfung einholen zu können. Mit Hilfe der Wohnsitzerklärung sollten die Reklamationsverfahren doch wesentlich vereinfacht werden, wobei ich ausdrücklich nochmals darauf hinweise, dass ein Reklamationsverfahren nur dann Sinn macht, wenn (mit Hilfe der Wohnsitzerklärung) festgestellt wird, dass ein Lebensmittelpunkt nur in der reklamierenden Gemeinde besteht.  

Reklamationsverfahren jetzt

  • Grundlage: § 17 Meldegesetz, Einleitung nicht an VZ gebunden
  • Antragslegitimation: Mittelpunkt der Lebensbeziehungen in der antragstellenden Gemeinde
  • Anträge an: Bundesminister für Inneres (Gemeinden in verschiedenen Bundesländern) oder Landeshauptmann (beide Gemeinden im selben Bundesland)
  • Art des Verfahrens: Verwaltungsverfahren
  • Parteien: beteiligte Gemeinden, Betroffener
  • Entscheidungskriterium: Mittelpunktqualität des gemeldeten HWS - am HWS müssen nicht die überwiegenden Lebensbeziehungen gegeben sein.
  • Mittelpunkt + überwiegendes Naheverhältnis (lt. Betroffenem) = Hauptwohnsitz
  • Ausgang des Verfahrens: Bescheid: Abweisung des Antrags oder Aufhebung des HWS mit all seinen Konsequenzen
  • Berufung: keine, Beschwerde wegen Rechtswidrigkeit beim VwGH

Werbung. Anerkennt man bei Vorhandensein mehrerer Mittelpunkte der Lebensbeziehungen und damit mehrerer Wohnsitze das Wahlrecht der betroffenen Personen, sich für einen dieser Wohnsitze, unabhängig davon, ob die Lebensbeziehungen dazu überwiegen, zu entscheiden, so muss man auch zur Kenntnis nehmen, dass die Gemeinden um Personen werben. Unter "werben" verstehe ich dabei allerdings nicht marktschreierische Methoden, sondern sachliche Informationen über die Vor- und Nachteile des HWS. So ist dieser etwa ausschlaggebend für:

Es wird daher empfohlen, die Betroffenen bereits im Vorfeld der VZ entsprechend zu informieren bzw. aufzuklären, um spätere Reklamationsverfahren zu vermeiden. Sollten sich Reklamationsverfahren aber nicht vermeiden lassen, so werden jene noch für die VZ und damit für die Verteilung der Finanzmittel berücksichtigt, die bis zum 30.9.2001 eingeleitet werden.

Zentrales Melderegister (ZMR). Das bereits seit einigen Jahren im Meldegesetz vorgesehene ZMR soll nun im zeitlichen Zusammenhang mit der VZ geschaffen werden. Bei diesem Unternehmen handelt es sich um die Errichtung des größten Verwaltungsregisters Österreichs, das hinkünftig allen Behörden und Dienststellen der Länder und des Bundes für jeden Bereich der Verwaltung eine unschätzbare Hilfestellung bieten wird. Die Bedeutung des Projekts geht dabei weit über den Bereich der Meldebehörden hinaus. Es soll zu einer nachhaltigen Verwaltungsvereinfachung und zu mehr Bürgerservice führen.

Zentrale Datenbank. Das ZMR ist also eine zentrale Datenbank, in der alle gemeldeten Menschen bundesweit erfasst sind. Jeder Person wird sein Wohnsitz oder seiner Wohnsitze zugeordnet. Neben dem HWS sind also auch alle weiteren Wohnsitze vermerkt. Das System kann daher über alle registrierten Wohnsitze Auskunft geben. Es besteht die Möglichkeit zu einem sogenannten "Online-Zugriff und für Online-Meldeauskünfte und außerdem bildet das ZMR künftighin die Grundlage für jede statistische Erhebung, eben auch für eine registerunterstützte Volkszählung, aber auch für die Wählerevidenzen auf Bundesebene bzw. für die Europawählerevidenz.

In diesem Zusammenhang eine kurze Bemerkung zur wiederholt vorgebrachten Forderung nach einer Verkürzung der Volkszählungsintervalle:

Das ZMR würde es technisch und theoretisch ermöglichen, jeden Tag zu zählen. Die Frage der Verkürzung der Zählintervalle ist jedoch eine komplexere. Die Forderung des prosperierenden Raumes, also der Zuwanderungsgemeinden, möglichst kurze Intervalle einzuführen, ist aus deren Sicht verständlich. Im selben Ausmaß wie die Zuwanderungsgebiete profitieren würden, würden aber Abwanderungsgebiete verlieren. Um den Abwanderungsgebieten aber eine entsprechende Mittelausstattung zur Erfüllung ihrer Aufgaben zu garantieren, ist die maximal vorstellbare Variante eine Verkürzung der Zählintervalle auf den Zeitraum einer Finanzausgleichsperiode. Diese Überlegungen entsprechen auch den Intentionen des Österreichischen Gemeindebundes.

Nun zu den Vorteilen des ZMR:

Die Errichtung des ZMR soll derart erfolgen, dass der für die VZ ohnehin notwendige Erfassungsvorgang der Meldedaten auch zur "Erstbefüllung" des ZMR verwendet wird. Die von den Gemeinden in die Großzählungssoftware eingegebenen Daten werden in der Zeit von 15.5.2001 bis 17.5.2001 in das ZMR geladen. Ab 17.5. wird dann ein "Probebetrieb" erfolgen. Alle ab diesem Zeitpunkt auftretenden An-, Ab- oder Ummeldungen sind gleichzeitig mit der Eingabe in das lokale Melderegisters von der Meldebehörde an das ZMR zu übermitteln. Während dieser Aufbauphase wird sich an der Vornahme der An-, Ab- und Ummeldungen, die Erteilung von Meldeauskünften und Meldebestätigungen grundsätzlich nichts ändern. Die Meldebehörden müssen nur die in das lokale Melderegister eingegebenen Meldedaten an das ZMR weiterleiten. Ein Unterschied ergibt sich nur insoweit - und das ist für die Frage des HWS wesentlich - dass das System die Einspeicherung eines HWS ab 17.5.2001 nicht zulassen wird, wenn nach wie vor eine andere Meldung mit HWS aufrecht ist. Die Meldebehörden haben dann, soweit möglich, noch während des Echtbetriebes eine Klärung mit dem betroffenen Bürger herbeizuführen. Die Zuständigkeit zur amtlichen Berichtigung der Meldedaten liegt bei der Meldebehörde, die einen aktuellen Meldevorgang zu erledigen hat. Der "Echtbetrieb" wird voraussichtlich mit 1.1.2002 starten.

Erwarteter Nutzen. Die Abwicklung der VZ sowie die Errichtung des ZMR erfordern von den Gemeinden umfangreiche Kosten und Mühen. Im Hinblick darauf, dass die VZ letztmalig in herkömmlicher Form ablaufen wird und mit der Aussicht, dass das ZMR wesentliche Vorteile auch für die Gemeinden bringen wird, muss man dies wohl in Kauf nehmen. Eine längerfristige Betrachtung spricht für den zu erwartenden Nutzen. Bleibt nur zu hoffen, dass die Vorbereitungen vor allem in technischer Natur geeignet sind, einen reibungslosen Ablauf sowohl der Volkszählung als auch des Aufbaus des ZMR zu gewährleisten. In beiden Bereichen wurden umfangreiche Schulungen von der Statistik Austria (vormals ÖSTAT) sowie von der NÖ Gemeindeverwaltungsschule und Kommunalakademie in Zusammenarbeit mit den Bundesministerium für Inneres durchgeführt. Darüber hinaus war das Bundesministerium in ständigem Kontakt mit den maßgeblichen EDV Anbietern um die technischen Abläufe abzuklären. Ich blicke daher einem weitgehend reibungslosen Ablauf optimistisch entgegen.

 

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