Gefangen im eigenen Körper                     zurück

Kunibert Geiger war nach einem Infarkt völlig gelähmt, todgeweiht. Doch er gab nicht auf.

von Martin Link

Das Schicksal schlug in der Früh des 1. April 1996 zu. Kunibert Geiger aus Heiligenkreuz am Waasen wollte zur Arbeit. "Kurz vor dem Fortgehen wird mir schlecht", schildert der gebürtige Schwabe. "Ich will noch das Telefon erreichen, um meinem Kollegen mitzuteilen, dass er mich krank melden solle. Die größte Anstrengung hilft nicht mehr, mein Körper gibt nach, ich breche zusammen." So findet ihn seine Frau Rosemarie.

Wenig später wird man ihr im Spital sagen müssen, dass sie jetzt über eine sehr lange Zeit werde stark sein müssen.

Die Diagnose: Kunibert Geiger hat einen Hirnstamminfarkt erlitten. Die Folgen: Der Zweimetermann ist gelähmt. Aber nicht irgendwie, sondern vollständig. Selbst seine Augen kann er nicht mehr bewegen, obwohl er sieht, schmeckt, riecht, hört und fühlt. Kunibert Geiger ist auf eine nahezu unvorstellbare Art und Weise eingesperrt in seinem Körper. Die Mediziner nennen das "Locked-in-Syndrom" und sagen Geigers Frau die Lehrbuchwahrheit: Ein Überleben ist so gut wie ausgeschlossen.

Knapp viereinhalb Jahre später arbeitet Kunibert Geiger wieder an seinem alten Arbeitsplatz als Finanzberater, fährt dorthin mit dem eigenen Auto, engagiert sich mit seiner Frau in der Selbsthilfegruppe für Schädel-Hirn-Verletzte und hat in den letzten Monaten gemeinsam mit Wegbegleitern, Ärzten, Therapeuten und Freunden ein Buch geschrieben, dessen Titel das Außergewöhnliche der letzten vier Jahre präziser nicht fassen könnte: "Das Leben neu erlernen. Wie mein Körper Flügel bekam" ist Rosa, der Tochter von Kunibert und Rosemarie Geiger, gewidmet. "Rosa soll später einmal nachlesen können", sagen die beiden, "was sie in all den Jahren nicht verstanden, aber ohne Probleme akzeptiert hat." Zum Beweis: Während andere Kinder Autos vergleichen, macht Rosa das mit Rollstühlen. "Warum hat der vom Papa nicht so herrlich bunte Räder wie der da?", fragt das fünf Jahre alte Mädchen. Zum Buch hat auch sie beigetragen. "Mein Papa" heißt ihr Teil, ergänzt um ein Familienbild mit Kater.

Doch nicht nur Rosa gelten die 152 Seiten Erinnerung. "Wir wollen allen Menschen in ähnlich schweren Situationen Mut machen", begründet die Kindergärtnerin Rosemarie Geiger, weshalb die beiden das Risiko eines Kredites auf sich genommen haben, ein Buch im Eigenverlag herauszugeben. Und: Weil Österreich mit seinen Rehabilitationsangeboten für Schädel-Hirn-Verletzte weit hinter dem internationalen Standard nachhinkt, soll das Buch auch ein Aufruf an die Gesundheitspolitiker sein, "Menschen wie mich nicht abzuschreiben und als unrettbare Pflegefälle in die Geriatrie abzuschieben, weil wir keine Lobby haben", fordert Kunibert Geiger.

Das sollte den Autoren - vor allem dem Betroffenen selbst - mit der völlig unsentimentalen und daher zutiefst berührenden Schilderung des Kreuzweges zurück ins Leben gelungen sein. "Das Leben neu lernen" - ein Beweis für die Himmelsmacht der Liebe und den eisernen Willen, der Berge versetzt.

Kubert und Rosemarie Geiger: Das Leben neu lernen.
Eigenverlag: Erlenweg 10, 8081 Heiligenkreuz am Waasen.
Tel. 0043 3134 3688 oder 0043 316 8037 425                                       zurück

© 2001 by Kleine Zeitung
Quelle:Kleine Zeitung, 8.10.2000
http://druck.kleinezeitung.at/steiermark/ARTIKEL?whichone=679035