StGN 1/2/3/2012, 9 f
Robert Koch
BAO: Kein Recht auf mündliche Verhandlung im Berufungsverfahren bei Landes- und Gemeindeabgaben
Rechtslage seit 1. 1. 2010
Seit 1. 1. 2010 ist
die Bundesabgabenordnung (BAO), derzeit in der Fassung BGBl. I Nr. 76/2011,
auch für Landes- und Gemeindeabgaben maßgebliches Verfahrensrecht.
Berufsmäßige Parteienvertreter sind es aus der Jahrzehnte langen
(bis Ende des Jahres 2009 nur auf den Bereich der Bundesabgaben beschränkten)
Anwendung der BAO gewohnt, in allen Rechtsmittelverfahren auch eine mündliche
Berufungsverhandlung beantragen zu können, um für die Abgabepflichtigen
wichtigen Standpunkten besser zum Durchbruch verhelfen zu können oder
– je nach Situation und Entwicklung eines Verfahrens – vorschlagsweise auch
Kompromissvarianten als mögliche verfahrensökonomische Lösungen
vorzubringen. Nach den Buchstaben des Gesetzes ist der Antrag, dass eine mündliche
Berufungsverhandlung anberaumt werden möge, nicht von Vornherein vollkommen
undenkbar, lautet doch § 284 Abs. 1 BAO wie folgt:
„Über die Berufung hat eine mündliche Verhandlung stattzufinden,
1. wenn es in der Berufung (§ 250), im Vorlageantrag (§ 276 Abs.
2) oder in der Beitrittserklärung (§ 258 Abs. 1) beantragt wird
oder
2. wenn es der Referent (§ 270 Abs. 3) für erforderlich hält.“
Im Folgenden sind aber die weiteren Regelungen für diese „mündliche
Verhandlung“ auf den Berufungssenat, seinen Vorsitzenden und seine Mitglieder
abgestimmt: Bereits dies sollte – was die direkte Übertragbarkeit oder
Anwendbarkeit in von der Zusammensetzung der Instanzen her anders gestaltete
Gemeindeabgabenbehörden anlangt – den Verfahrensrechtsanwender zumindest
vorsichtig machen...
Anlassfall, Sachverhalt
In einem Abgabenverfahren
nach dem Tiroler Vergnügungssteuergesetz war diese Verfahrensrechtsfrage
bereits auf Grundlage der BAO zu klären. Die Partei hat auf einer mündlichen
Berufungsverhandlung bestanden und die Abgabenbehörde hat dem Antrag
nicht entsprochen, weswegen vor dem Verwaltungsgerichtshof die Rüge der
Verletzung von Verfahrensvorschriften erhoben wurde.
Die Abgabepflichtige hatte eine im Vorfeld vor allem im Internet auf einschlägigen
Homepages eine als „Highlight des erfolgreichen Eventformats S“, als einzigartige
„Live-Show“ und als „bedeutendstes Partyereignis“, zusammenfassend als „Event“
bzw. „Party“ beworbene Veranstaltung durchgeführt. Auf dieser Veranstaltung
waren in einer Eishalle zwei über mehr als die Hälfte der Westseite
verlaufende Bars mit Alkoholausschank und auf der Nordseite über zwei
Bauetagen VIP-Areale eingerichtet. Auf der gesamten Veranstaltungsfläche
im Bereich der Bühne waren keine Sitzgelegenheiten, sondern nur Rundtische
zum Abstellen von Getränken aufgestellt. Als Vorprogramm unterhielt ein
DJ die insgesamt 4.000 Besucher der Veranstaltung, während bei der Veranstaltung
als Hauptprogramm „in einem in einer Diskothek üblichen Ausmaß“
getanzt wurde. In der Mitte der Halle war ein Turm platziert, auf welchem
eine Tanzanimateurin tanzte, welche das Publikum neben Lichtshow, Visuals
und sonstigen „Specialeffects“ zum Tanzen anregen sollte. Diese Tatsachen
wurden – so bestätigt es auch später der VwGH – von der Abgabenbehörde
im Zuge eines Ortsaugenscheins während der Veranstaltung glaubwürdig
und umfassend dokumentiert.
Die Gemeinde hat die Veranstaltung als Clubbing angesehen, was nach dem Tiroler
Vergnügungssteuergesetz mit dem gesetzlichen Normalhöchststeuersatz
von 25 % des Eintrittsgeldes zu besteuern war.
Im Zuge einer mündlichen Verhandlung wollte jedoch die Partei ihrer Ansicht
zum Durchbruch verhelfen, die beschriebene Veranstaltung hätte „überwiegend
kulturellen und volksbildenden“ Charakter gehabt und sei daher nach einer
Ausnahmebestimmung nur mit einem Steuersatz von 4 % des Eintrittsgeldes zu
besteuern. Gesetzliche Voraussetzung für eine derartige (steuerlich günstigere)
Beurteilung einer Veranstaltung wäre allerdings auch gewesen, dass diese
„ohne Verbindung mit einer Tanzbelustigung“ stattgefunden hätte.
Verfahrensrechtliche Sichtweise der Behörde
Die Gemeindeabgabenbehörde zweiter Instanz ist davon ausgegangen, dass schon rein aus verfahrensrechtlichen Gründen kein gesonderter Anspruch auf Durchführung der ausdrücklich beantragten mündlichen Verhandlung bestehe und der Antrag auf Durchführung einer mündlichen Berufungsverhandlung daher nur als Beweisantrag gemäß § 183 BAO zu behandeln sei. Die Berufungsbehörde hielt aber den Sachverhalt für eindeutig und entscheidungsreif und entschied ohne Durchführung einer mündlichen Berufungsverhandlung in einem (in diesem Fall nur vor dem Höchstgericht anfechtbaren) Berufungsentscheidungsbescheid.
Höchstgerichtliche Beschwerde
Die Partei erhob gegen
diesen letztinstanzlichen Bescheid Beschwerde an den Verfassungsgerichtshof,
welcher die Behandlung der Beschwerde ablehnte und diese zur weiteren Behandlung
dem Verwaltungsgerichtshof abtrat.
Nach über Aufforderung ergänzter Beschwerde vor dem Verwaltungsgerichtshof
machte die beschwerdeführende Partei unter anderem die hier interessierende
Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften – und zwar
die unterlassene, ausdrücklich beantragte mündliche Verhandlung
im Berufungsverfahren – geltend.
Beurteilung des Verwaltungsgerichtshofs
Der VwGH hält den
Sachverhalt in seinem hier beschriebenen Erkenntnis 2010/17/0078 vom 10. 8.
2010 insgesamt für ausreichend festgestellt und zutreffend rechtlich
gewürdigt.
Aus dem Umstand, dass ähnliche Veranstaltungen von den Abgabenbehörden
üblicherweise angeblich anders qualifiziert würden, vermag die beschwerdeführende
Partei nach Ansicht des Höchstgerichts keinerlei Rechtspositionen abzuleiten,
da eine allfällige gegenüber anderen Betroffenen rechtswidrig erfolgende
Gesetzesanwendung niemandem ein Recht auf diesbezügliche “Gleichbehandlung
im Unrecht“ gibt; der VwGH verweist in diesem Zusammenhang auf sein Erkenntnis
2006/17/0077 vom 17. 6. 2009.
Zur gerügten Unterlassung der Durchführung der von der beschwerdeführenden
Partei beantragten mündlichen Verhandlung führt das Höchstgericht
aus, dass § 284 BAO auf das Verfahren betreffend die Vergnügungssteuer
vor der Gemeindeabgabenbehörde nicht anwendbar ist: Denn auch nach der
Novelle der BAO durch BGBl. I Nr. 20/2009 enthält diese keine verfahrensrechtlichen
Regelungen über die Verpflichtung zur Durchführung einer mündlichen
Verhandlung in Verfahren betreffend Landes- und Gemeindeabgaben. Es sollten
nämlich die sich auf den unabhängigen Finanzsenat (UFS) beziehenden
Vorschriften der BAO – darunter ausdrücklich § 284 BAO – schon nach
den Erläuterungen zur Regierungsvorlage weiterhin nur für das Verfahren
vor dem UFS gelten und scheide daher die Anwendung des § 284 BAO im Verfahren
betreffend die Festsetzung der Vergnügungssteuer im Endeffekt aus.
Zwar erscheine eine zumindest teilweise Anwendung des § 284 BAO im Verfahren
betreffend Landes- und Gemeindeabgaben nicht von Vornherein ausgeschlossen,
doch sei eine Heranziehung des § 284 BAO entgegen dem erklärten
Willen des Gesetzgebers (zumindest im Wege der Analogie) auch nur dann geboten,
wenn sich bei Fehlen der entsprechenden Regelung eine echte Lücke ergäbe:
Dies ist jedoch nicht der Fall, weswegen keine Notwendigkeit besteht, die
BAO in diesem Punkt entgegen dem aus den Materialien ersichtlichen Willen
des Gesetzgebers zu interpretieren.
Der VwGH kommt daher zum Schluss, dass die Durchführung einer mündlichen
Verhandlung (unter sonstiger Beachtung der amtswegigen Ermittlungspflicht
und der Wahrung des Parteiengehörs) nicht zwingend geboten war und sich
die Beschwerdeführerin daher auch nicht darauf verlassen konnte, in einer
mündlichen Verhandlung ihren Standpunkt darlegen und den Sachverhaltsannahmen
der Abgabenbehörde entgegen treten zu können.
Robert Koch, 30.11.2011