StGN 11/12/2009, S 8 f

LAO, BAO: Sind „Gegenverrechnungen“ durch die Abgabenbehörde zulässig?
Von Robert Koch

 

Fragestellung

Wiederholt stellt sich die Frage, ob insbesondere zivilrechtliche Forderungen von Abgabepflichtigen (z. B. Firmenrechnungen) mit Rückständen bei Gemeindeabgaben – mit oder ohne Zustimmung des Abgabepflichtigen – „gegenverrechnet“ (aufgerechnet, kompensiert) werden dürfen – auch die Rechtsprechung ist in diesem äußerst spannenden Bereich durchaus ein wenig uneinheitlich. Der folgende Beitrag soll aufzeigen, wo die zulässigen Grenzen des Verwaltungshandelns nach aktuellem aus der Judikatur abzuleitenden Stand liegen, wenn seitens der Gemeindeabgabenbehörden eine Kompensation (Aufrechnung) von Abgabenschulden mit zivilrechtlichen Forderungen anzudenken ist. Unter „Kompensation“ (Aufrechnung) versteht man die wechselseitige Tilgung von Forderungen im Ausmaß der geringeren der beiden Forderungen – diese gilt dann als beglichen.

 

Kompensation als zulässige Abgabenentrichtungsform

§ 160 Steiermärkische Landesabgabenordnung (LAO), LGBl. Nr. 158/1963 in der Fassung LGBl. Nr. 68/2008, und § 211 Bundesabgabenordnung, BGBl. Nr. 194/1961 in der Fassung BGBl. Nr. I 52/2009 (BAO), regeln den Zeitpunkt, wann eine Abgabe als entrichtet gilt. Diese Bestimmung regelt aber – so auch der VwGH in seiner Rechtsprechung – nicht abschließend, welche Abgabenentrichtungsformen überhaupt zulässig wären (VwGH 2000/15/0155 vom 16. 12. 2003).

Deswegen kommen für die wirksame Tilgung von Abgabenschulden grundsätzlich auch alle zivilrechtlich zulässigen Entrichtungsformen, darunter auch die Kompensation im Sinne des § 1438 ABGB, in Betracht (VwGH 94/16/0010, 94/16/0011, 94/16/0012 vom 27. 2. 1995; VwGH 95/13/0126 vom 18. 10. 1995).

Lediglich die Hingabe von Wechseln ist als unzulässige Form der Entrichtung von Abgaben ausgeschlossen (§ 160 Abs. 4 LAO; § 211 Abs. 4 BAO).

 

Pragmatische Ansicht des OGH

Was nun die Aufrechnung anlangt, so äußert insbesondere der OGH in seiner Rechtsprechung keine Vorbehalte und sieht im Zivilrechtsbereich keine Einschränkungen für die Zulässigkeit einer Aufrechnung – demnach ist es unerheblich, ob die potenziell aufzurechnenden Forderungen privatrechtlicher oder öffentlichrechtlicher Natur sind (OGH 9 Ob A 99/87 vom 16. 12. 1987, JBl 1988, 735; OGH 1 Ob 525/89 vom 24. 5. 1989, WBl 1989, 254). Eine Grundvoraussetzung der Kompensation stellt die Gleichartigkeit, Richtigkeit und Fälligkeit der Forderungen dar.

 

Differenzierte Sichtweise des VwGH...

Der Verwaltungsgerichtshof nimmt schon grundsätzlich eine differenziertere Sichtweise ein, indem er festhält, dass in Fällen, wo „für Forderung und Gegenforderung verschiedene Wege der Rechtsdurchsetzung vorgesehen sind“, eine Kompensation nicht in Betracht kommt (VwGH 90/17/0227, 90/17/0228 vom 18. 6. 1993; VwGH 2003/17/0309, 2003/17/0310 vom 15. 12. 2003).

Ergänzung Robert Koch vom 13.7.2012:
VwGH 7.11.1986, 86/18/0193, Rechtssatz 4:
„Mangels spezieller Vorschriften über die Kompensation im öffentlichen Recht müssen über die rechtlichen Voraussetzungen derselben die Bestimmungen des bürgerlichen Rechtes herangezogen werden. Wesentliche Voraussetzungen einer Kompensation ist aber eine Aufrechnungserklärung gegenüber dem Aufrechnungsgegner, sowie daß Forderung und Gegenforderung einander aufrechenbar iSd Liquidität gegenüberstehen (Hinweis E 16.2.1951, P 18/49, VwSlg 1936 A/1951 sowie Rummel ABGB, RZ 11 zu § 1438 ABGB und RZ 6 zu § 1439 ABGB). Eine solche wird aber dann zu verneinen sein, wenn Unzulässigkeit des Rechtsweges bzgl der Gegenforderung vorliegt (Rummel ABGB, RZ 26 zu § 1438 ABGB).“ (Quelle: www.ris.bka.gv.at)

Die Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofs ist allerdings auch in diesem Punkt nicht absolut einheitlich, sondern kommt es sehr auf die Details in den Voraussetzungen an, ob eine Kompensation nicht sehr wohl trotzdem zulässig ist, wie nachfolgend aufgezeigt werden soll.

 

Pflicht zur Gegenverrechnung bei gültiger Aufrechnungserklärung

Im Erkenntnis 85/0126/17 vom 22. 12. 1988 vertritt der VwGH folgende Ansicht: „Wird eine gültige Aufrechnungserklärung abgegeben, so wird die Kompensation (§ 1438 ABGB) als in jenem Zeitpunkt eingetreten angesehen, in dem Forderung und Gegenforderung einander zum ersten Mal aufrechenbar gegenübergestanden sind. ... Dies wäre hier im Zeitpunkt der Fälligkeit des Werklohnes für den von der Bauunternehmen Sch ... GesmbH errichteten Wohnungsbaus, das ist mit Rechnungslegung am 26. November 1981, der Fall gewesen.“ Im gegenständlichen Fall hätte daher die Abgabenbehörde – so der VwGH sinngemäß weiter – von einer bezahlten Abgabe ausgehen müssen und hätte Einwendungen gegen eine spätere Exekutionsbewilligung Folge geben müssen.

Dass eine Aufrechnungserklärung auf den Zeitpunkt zurück wirkt, in dem sich die Forderungen erstmals fällig gegenüberstanden, bestätigt der VwGH auch explizit im VwGH-Erkenntnis 93/15/0009 vom 14. 9. 1993.

 

Keine Kompensation ohne Aufrechnungserklärung

Im unter den Zahlen 90/17/0227, 90/17/0028 protokollierten Beschwerdeverfahren hat der Verwaltungsgerichtshof mit Erkenntnis vom 18. 6. 1993 klar gestellt, dass im öffentlichen Recht mangels spezieller Vorschriften über die rechtlichen Voraussetzungen einer Aufrechnung nach ständiger Rechtsprechung des VwGH die Bestimmungen des bürgerlichen Rechtes analog heranzuziehen sind. Eine Kompensation im Sinne der §§ 1438 ff ABGB setzt unter anderem voraus, dass Forderungen und Gegenforderungen einander aufrechenbar im Sinne der Liquidität gegenüberstehen. Eine solche ist aber jedenfalls dann zu verneinen, wenn für Forderungen und Gegenforderungen verschiedene Wege der Rechtsdurchsetzung vorgesehen sind. Die von den Beschwerdeführern geltend gemachte Gegenforderung ist jedoch zweifellos nicht im Abgabenverfahren geltend zu machen. Im gegenständlichen Fall stellte der VwGH somit klar, dass eine Kanalanschlussgebühr nicht gegen einen den Grundstückseigentümern durch die Errichtung einer Kläranlage in der Nähe ihres Grundstückes entstandenen Schaden aufgerechnet werden kann.

 

Grundsätze und Grenzen der Aufrechnung

Im einem weiterhin gewissermaßen als Grundsatzerkenntnis anzusehenden VwGH-Erkenntnis 88/0064/15 vom 12. 11. 1990 führt das Höchstgericht in seiner Begründung zur Zulässigkeit und zu den Rechtsfolgen einer Aufrechnung – hier allerdings bei vorliegender bzw bestehender Aufrechnungserklärung! – nach von der Abgabenbehörde vorgenommener Kompensation Folgendes aus:

„Der vom Beschwerdeführer erhobene Einwand der mangelnden Gegenseitigkeit ist nicht berechtigt.
§ 1438 ABGB hat folgenden Wortlaut: 'Wenn Forderungen gegenseitig zusammentreffen, die richtig, gleichartig und so beschaffen sind, daß eine Sache, die dem einen als Gläubiger gebührt, von diesem auch als Schuldner dem anderen entrichtet werden kann, so entsteht, insoweit die Forderungen sich gegeneinander ausgleichen, eine gegenseitige Aufhebung der Verbindlichkeiten (Kompensation), welche schon für sich die gegenseitige Zahlung bewirkt.'
Gemäß § 1441 ABGB kann ein Schuldner seinem Gläubiger dasjenige nicht in Aufrechnung bringen, was dieser einem Dritten und der Dritte dem Schuldner zu zahlen hat. Selbst eine Summe, die jemand an eine Staatskasse zu fordern hat, kann gegen eine Zahlung, die er an eine andere Staatskasse leisten muß, nicht abgerechnet werden.
Daß Forderungen gegenseitig zusammentreffen müssen, wird schon im § 1438 ABGB als Voraussetzung der Kompensation erklärt. Diese Voraussetzung wird im § 1441 erster Satz ABGB näher bestimmt. Demnach bedeutet Gegenseitigkeit, daß der Gläubiger eines Schuldners gleichzeitig dessen Schuldner ist und umgekehrt. Schon nach dem Wortlaut dieser Gesetzesstellen kann grundsätzlich kein Zweifel daran bestehen, daß auch Forderungen des Staates, überhaupt öffentlich-rechtliche Forderungen, durch Aufrechnung getilgt werden können, wenn die allgemeinen Voraussetzungen der Aufrechenbarkeit vorliegen. § 1441 zweiter Satz ABGB, wonach gegen Forderungen des Staates nur insoweit aufgerechnet werden kann, als die Gegenforderung an dieselbe Staatskasse zu leisten ist, stellt eine Ausnahmeregelung dar, die nur zugunsten des Staates besteht und sowohl für öffentlich-rechtliche als auch privatrechtliche Forderungen gilt. Grund für die Ausnahmeregelung war nicht die mangelnde Gegenseitigkeit – die einzelnen Kassen besitzen keine eigene Rechtspersönlichkeit, sondern sind alle 'dem Staat' zugeordnet –, sondern die Vermeidung von Verrechnungsschwierigkeiten. Der Fiskus seinerseits kann mit Gegenforderungen einer anderen Kasse aufrechnen.“

 

Aufrechnungsverbote

Bestehen in besonderen Situationen Aufrechnungsverbote, darf natürlich keine Gegenverrechnung vorgenommen werden (VwGH 93/15/0009 vom 14. 9. 1993; z. B. die in der vorerwähnten Judikatur angeführten Verbote nach § 1441 ABGB); dies betrifft insbesondere auch Aufrechnungsbestimmungen aus der Konkursordnung (§§ 19 und 20 KO) und der Ausgleichsordnung (ebenfalls §§ 19 und 20) sowie aus der Exekutionsordnung (§ 293 Abs 3 EO).

Mit der Aufrechnung von Abgabenforderungen in Konkurs- und Ausgleichsverfahren hat sich der VwGH auch schon mehrfach befasst – an dieser Stelle kann nur beispielhaft auf einige Erkenntnisse mit Aussagen zu diesem Thema verwiesen werden: VwGH 95/13/0126 vom 18. 10. 1995; VwGH 92/15/0012 vom 26. 4. 1993; VwGH 91/15/0103 vom 14. 9. 1993 und VwGH 91/15/0077 vom 21. 10. 1993.

Auch Abgabenbeträge, welche im offenen Berufungsverfahren von einer Aussetzung der Einhebung betroffen sind, sind einer Gegenverrechnung nicht (bzw nur mit ausdrücklicher Zustimmung des Abgabepflichtigen) zugänglich.

 

Zusammenfassung

Insgesamt ergibt sich speziell aus der für Abgabenbehörden maßgeblichen VwGH-Judikatur, dass eine Aufrechnung (Kompensation im Sinne der §§ 1438 ff ABGB) von liquide gegenüberstehenden Forderungen und Gegenforderungen nach Eintritt der Fälligkeit unbeglichener Abgabenforderungen insbesondere bei Vorliegen einer entsprechenden Zustimmung (d. h. bei gültiger Aufrechnungserklärung) jedenfalls bedenkenlos vorzunehmen ist; allenfalls bestehende Aufrechnungsverbote sind zu beachten.

Dies deckt sich soweit durchaus mit der zivilrechtlichen Auslegung, wonach die Kompensation nicht automatisch eintritt, sondern eine Aufrechnungserklärung des Schuldners voraus setzt (z. B. Rummel, in Rummel, ABGB II³, § 1438, Tz 11; Honsell/Heidinger, in Schwimann, ABGB², § 1438, Tz 10 ff).

Robert Koch, 3.12.2009