(Anmerkung:
Artikel war für diese Ausgabe
der StGN vorgesehen,
wurde aber aus redaktionellen Gründen nicht abgedruckt.)
Getränkeabgabe:
Die Entwicklungen seit dem 2. Oktober 2003
Von Robert Koch
In der Septemberausgabe 2003 finden
Sie einen Zeitraffer des mit der Frage der EU-Konformität beschäftigten
Getränkeabgabeverfahrens von 1997 bis vor dem 2.10.2003. Mit den inzwischen
eingetretenen Entwicklungen liegt zwar eine inhaltlich richtungsweisende Fortsetzung,
aber noch kein „Schlussstrich“ vor:
• Am 2. Oktober 2003 hat der EuGH in seinem Urteil C-147/01 über
die Gemeinschaftsrechtskonformität des rückwirkend in Kraft gesetzten
Bereicherungsverbotes der WAO grundsätzlich positiv entschieden.
• Der VwGH hat in der Folge mit seinem Erkenntnis 2003/16/0148 vom 4.12.2003
aufgezeigt, warum die Bereicherungsverbote aller Bundesländer verfassungskonform
und unter welchen Umständen sie im Grunde auch jedenfalls als europarechtskonform
angewendet zu betrachten sind.
a) EuGH-Urteil C-147/01 vom 2. Oktober 2003
- In diesem Urteil hat
der Europäische Gerichtshof die Einführung von rückwirkenden
Bereicherungsverboten als grundsätzlich mit Gemeinschaftsrecht vereinbar
erkannt, so weit diese bloß eine ungerechtfertigte Bereicherung ausschließt,
nicht nur bloß auf die Überwälzung einer Abgabe abstellt und
zudem nicht nur spezifisch die Getränkesteuer auf alkoholische Getränke
betreffen würde, was in der Folge das nationale Höchstgericht (Verwaltungsgerichthof)
im Gefüge der gesamten nationalen Rechtsordnung abschließend zu
beurteilen habe.
Abgesehen von dieser als Kernpunkt
der Vorabentscheidungsanfrage des VwGH formulierten und elementar wichtigen
Fragestellung der vorab positiv erfolgten Beurteilung einer zulässigen
Rückwirkung der österreichischen Bereicherungsverbote hat der EuGH
auch zu weiteren Fragestellungen rund um die konkrete Anwendung dieser Normen
insoweit Stellung bezogen, als er die Einhaltung von zwei wesentlichen aus seiner
ständigen Rechtsprechung abgeleiteten Grundsätzen ausdrücklich
als notwendig erklärt hat:
- Nach dem Äquivalenzprinzip
(Gleichheitsgrundsatz – Urteils-RZ 104 bis 108) dürfen Erstattungsanträge,
welche sich auf Gemeinschaftsrecht stützen, nicht ungünstiger als
Anträge, welche sich auf innerstaatlich bedingte Rückzahlungsansprüche
stützen, behandelt werden. Ob ferner und unter welchen Umständen
dieser Grundsatz bei den Bereicherungsverboten bzw bei deren konkreten oder
konkret zu erwartenden Anwendung (etwa auch im Hinblick auf allfällig
privilegierte Anlassfälle vor dem VfGH) tatsächlich eingehalten
werde, habe aber das nationale Höchstgericht zu beurteilen.
- Das Effektivitätsprinzip
(RZ 109 bis 117) wird so lange eingehalten und steht dem Bereicherungsverbot
nicht entgegen, als rückwirkend eingeführte (und als Ausnahme von
der grundsätzlichen Rückerstattungspflicht der Mitgliedsstaaten
bzw der Gemeinden jedenfalls eng auszulegende) Bereicherungsverbote dem Steuerpflichtigen
die Rückerstattung von Abgabenansprüchen nicht praktisch unmöglich
machen oder übermäßig erschweren würden, solange sie
ausschließlich eine ungerechtfertigte Bereicherung ausschließen
und dabei bestimmte inhaltliche und verfahrensrechtliche Rahmenbedingungen
einhalten würden:
- Die Beweislast
hinsichtlich einer die Rückerstattung ausschließenden ungerechtfertigten
Bereicherung des Steuerpflichtigen im Fall der Rückerstattung der
Abgabe hat bei der Abgabenbehörde zu liegen.
- Der betroffene
Abgabepflichtige hat mit zu wirken und der Abgabenbehörde den Zugang
zu den nach innerstaatlichem Recht aufbewahrungspflichtigen Belegen zu
gewähren.
- Das nationale Recht
darf keine Vermutung der Überwälzung der Abgabe auf Dritte aufstellen
und dem Abgabepflichtigen keine diesbezügliche negative Beweislast
auferlegen.
- Der VwGH habe festzustellen,
ob die Mitwirkungspflicht des Abgabepflichtigen in der Praxis wohl nicht
einer Überwälzungsvermutung gleichkomme, die der Abgabepflichtige
nur durch Erbringung eines Gegenbeweises widerlegen kann.
- Allein der Umstand,
dass eine Abgabe auf Grund nationaler Rechtsvorschriften in den für
die Verbraucher geltenden Verkaufspreis einzurechnen ist (war), darf nicht
die Vermutung nach sich ziehen, dass dadurch die wirtschaftliche Belastung
durch die Abgabe ausgeglichen ist und daher jede Rückerstattung zu
einer ungerechtfertigten Bereicherung führen würde.
- Auch der durch
die Behörden nachzuweisende Umstand, dass eine Abgabe (ganz oder
teilweise) auf Dritte überwälzt wurde, darf weder zu einer gesetzlichen
noch zu einer durch die Verwaltungspraxis geschaffenen Vermutung führen,
dass eine Erstattung der zu Unrecht erhobenen Abgabe zu einer ungerechtfertigten
Bereicherung der Abgabepflichtigen führen würde – sie
wäre diesfalls gemeinschaftsrechtswidrig. Ob Letzteres – nämlich
die Auferlegung zur Führung eines Gegenbeweises durch den Steuerpflichtigen
– in Österreich in der Praxis Platz greife, habe ebenfalls
das innerstaatliche Gericht festzustellen.
b) VwGH-Erkenntnis 2003/16/0148 vom 4.12.2003
- Das Äquivalenzprinzip
beurteilt der VwGH als eingehalten, da die in Rede stehenden Rückzahlungssperren
wie bereits in seinem Vorabentscheidungsersuchen ausgeführt für
nicht spezifisch auf als gemeinschaftsrechtswidrig erkannte Abgaben (oder
gar nur auf die Getränkesteuer) anwendbar seien, sodass er nach den Vorgaben
des EuGH auch die rückwirkende Einführung derartiger Bestimmungen
als gemeinschaftsrechtskonform beurteilen konnte. Auch in den Anwendbarkeitsregelungen
für Anlassfälle seien keine Schlechterstellungen für auf Gemeinschaftsrecht
gestützte Erstattungsanträge enthalten.
- Der VwGH verweist klar
auf die Treuepflicht der Mitgliedsstaaten, wonach gemeinschaftsrechtlichen
Ansprüchen zum Durchbruch zu verhelfen ist. Daraus ergeben sich folgende
Pflichten der Gemeinden:
- Einerseits ist
der nicht überwälzte Anteil der gemeinschaftsrechtswidrig erhobenen
und bereits an die Behörde abgeführten Abgabe dem Steuerpflichtigen
zurück zu zahlen - vorausgesetzt dessen innerstaatliche Verfahrensposition
als Rechtsbehelfsfall lässt dies (noch) zu;
- andererseits ist
auch der darüber hinaus gehende überwälzte Anteil insoweit
zu erstatten, als die Erstattung nicht zu einer ungerechtfertigten Bereicherung
des Wirtschaftsteilnehmers führen würde. Folglich erstreckt
sich die Erstattungspflicht hinsichtlich des überwälzten Anteils
nur auf jenen Teil, insoweit aus der Überwälzung einer gemeinschaftsrechtswidrigen
Abgabe ein wirtschaftlicher Schaden zufolge eines (natürlich ausschließlich
in der Überwälzung bedingten) Absatzrückganges erwachsen
ist.
Des Weiteren hält
der VwGH einige konkrete verfahrensrechtliche Grundsätze fest, die er entsprechend
der EuGH-Rechtsprechung unter dem Begriff der Einhaltung des „Effektivitätsprinzips“
zusammenfasst:
- Die Verwaltung darf
keine Überwälzungsvermutung aufstellen und so dem Abgabepflichtigen
die Beweislast auferlegen, dass er die Abgabe nicht auf Dritte abgewälzt
hätte.
- Umstand und Ausmaß
der erfolgten Überwälzung (und allenfalls Schräg- oder Rückwälzung)
sind im jeweiligen Einzelfall zu klären. Alle maßgeblichen Umstände
sind dabei nach dem Grundsatz der freien Beweiswürdigung bei einer
amtswegigen Beweisaufnahme zu berücksichtigen. Dabei hat die Abgabenbehörde
auch amtsbekannte Umstände zugunsten des Abgabepflichtigen zu berücksichtigen.
- Allein aus dem Umstand,
dass die Steuer auf alkoholische Getränke den Verbrauchern in Rechnung
gestellt wurde, darf weder auf eine Überwälzung noch auf eine
ungerechtfertigte Bereicherung im Erstattungsfall geschlossen werden.
- Aus dem nachgewiesenen
oder schlüssig anzunehmenden Umstand der erfolgten Überwälzung
darf nicht abgeleitet werden, dass eine Erstattung zu einer ungerechtfertigten
Bereicherung führen würde, da auch wirtschaftliche Nachteile des
Abgabepflichtigen zu berücksichtigen sind.
- Der betroffene Abgabepflichtige
hat der Abgabenbehörde im Verfahren Zugang zu den aufbewahrungspflichtigen
Belegen zu gewähren und mitzuwirken, so lange er dadurch in der Praxis
nicht einen Gegenbeweis zur Entkräftung einer vermuteten Abwälzung
dieser Abgabe zu führen hat.
- Der Abgabepflichtige
(war bzw) ist in laufenden Verfahren verpflichtet, Belege über die
siebenjährige Belegaufbewahrungsfrist hinaus (!) aufzubewahren und
vorzulegen.
- Insoweit die Abgabenbehörde
die Grundlagen für den Abgabenanspruch trotz Heranziehung aller zur
Verfügung stehenden Beweismittel (etwa wegen nicht erstellter, nicht
aufbewahrter oder nicht vorgelegter Aufzeichnungen) nicht ermitteln kann,
stößt auch eine – unter Wahrung des Parteiengehörs
vorzunehmende – Ausschöpfung der Schätzungsbefugnis im Sinne
der jeweiligen LAO auf keine gemeinschaftsrechtlichen Bedenken.
- Der VwGH macht durchaus
auch inhaltliche Richtungsvorgaben, wie das Bereicherungsverbot europarechtskonform
angewendet werden soll:
- Der VwGH gesteht
ausdrücklich zu, dass die Wahrscheinlichkeit des Überwälzungsausmaßes
von der jeweils vorliegenden Marktstruktur abhängt.
- Umstand und Ausmaß
der konkreten Überwälzung sind vorrangig anhand der persönlichen
Umstände des Abgabepflichtigen (Kalkulationsunterlagen, Abweichung
von durchschnittlichen Rohaufschlägen) festzustellen.
- Die Auswirkungen
einer fiktiven Abschaffung der Steuer und einer vollständigen Weitergabe
an den Verbraucher per 1.1.1995 sind anhand makroökonomischer, branchenspezifischer
Analysen über das Verbraucherverhalten bei Preissenkungen und die Nachhaltigkeit
dieses Verhaltens für die Feststellung zu untersuchen, inwieweit die
Überwälzung der Getränkesteuer allenfalls auch zu einem Absatz-
und Gewinnrückgang geführt hat. Dabei können auch Rückschlüsse
von durch Umsatzauswirkungen heran gezogen werden, welche von auf Dauer
vorgenommenen Preissenkungen her rühren.
- Der Grundsatz der
freien Beweiswürdigung gestattet es der Behörde auch bei ihrer
einzelbetrieblichen Beurteilung, auf makroökonomische Untersuchungsergebnisse
(Gutachten) zu verweisen und derart auf Erfahrungssätzen aufzubauen,
welche von einer Überwälzung der Getränkesteuer in hohem
Ausmaß ausgehen. Einzelbetriebliche Überwälzungen müssten
allerdings noch die Zusammensetzung des Getränkeumsatzes nach Produktarten
und Rohaufschlägen je nach Getränkeart berücksichtigen.
- Dass die Steuerüberwälzung
wie bereits in mehreren Gutachten dargestellt von den Angebots- und Nachfrageelastizitäten
der Güter und Leistungen abhängt und bei der Frage des Ausmaßes
der Steuerüberwälzung der Getränkesteuer auch die unterschiedlichen
Angebots- und Nachfrageelastizitäten nach Getränkeart, Gewerbetyp
(Handel oder Gastronomie), Region, Besteuerungszeitpunkt (Hoch- oder Nebensaison;
Winter- oder Sommertourismus) und schließlich nach einzelbetrieblichen
Merkmalen (zB örtliche Lage, Zusatzangebote etc) zu berücksichtigen
sind, wertet der VwGH als gesicherte Annahme.
- Feststellungen über
makroökonomische Analysen hält der VwGH für Aufschlüsse
über Überwälzungswahrscheinlichkeiten nach Getränkearten,
Branchen, Regionen, Betriebstypen, Kundenstrukturen usw im Ermittlungsverfahren
für möglicherweise bedeutsam.
c) Aktuell: Die Suche nach einer administrierbaren Lösung
Die Herausforderung bei
der praktischen Umsetzung der VwGH-Vorgaben besteht für die Abgabenbehörden
nun konkret darin, einerseits den hohen inhaltlichen und verfahrensrechtlichen
Anforderungen gerecht zu werden und andererseits innerhalb eines praktisch administrierbaren
Rahmens zu bleiben, um den Abgabepflichtigen qualitativ ausreichende Erledigungen
innerhalb eines vertretbaren Zeithorizonts zustellen zu können.
Genau diese enge Grenze in der Anwendung makroökonomischer Analysen, ohne
dass dabei eine generelle Überwälzungs- und/oder Bereicherungsvermutung
aufgestellt wird, versuchen aktuell der Österreichische Gemeindebund und
der Österreichische Städtebund unter maßgeblicher Mitwirkung
des Bundesministeriums für Finanzen unter Beiziehung der Gemeindeaufsichtsbehörden
der Landesregierungen in einigen vor dem VwGH anhängig gemachten Musterverfahren
auszuloten. Die dabei aktuell beabsichtigten Argumentations-Eckpunkte werden
bekanntlich aktuell von den Gemeinden in Vorhalten gemäß § 127
LAO abgefragt.
Über die Entwicklung und die Ergebnisse der Musterverfahren werden wir
unsere Mitgliedsgemeinden zeitnah informieren und zur möglichst verwaltungsökonomischen
Verfahrensfortsetzung entsprechende auch weitere Mustererledigungen (zur Wahrung
des Parteiengehörs wie auch für entsprechende Abgabenbescheide oder
Berufungsentscheidungen) bereitstellen.
Robert Koch, 12.7.2004