VwGH-Erkenntnis 2002/16/0069 vom 18.6.2002

 

Rechtssatz

Nach Spruchteil 2. des EuGH-Urteils vom 9. März 2000 in der
Rechtssache C-437/97 widerspricht die Erhebung von Getränkesteuer
auf alkoholische Getränke dem Gemeinschaftsrecht. Die im
Spruchteil 3. vorgesehene Beschränkung des zeitlichen
Anwendungsbereichs dieses Urteils bezieht sich allein auf
derartige Ansprüche betreffend solcher Abgaben, die vor dem 9.
März 2000 entrichtet wurden oder fällig geworden sind. Ist keine
dieser beiden Voraussetzungen gegeben, so kommt eine Erhebung der
Abgabe nicht in Betracht. Auf die Frage, in welchem Zeitpunkt ein
Rechtsbehelf gegen eine Abgabe erhoben wurde, die erst nach dem 9.
März 2000 fällig und vor diesem Zeitpunkt auch nicht entrichtet
worden ist, kommt es dabei nicht an.

 

Volltext

Betreff
Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden
Senatspräsident Dr. Waldner und die Hofräte Dr. Steiner,
Dr. Fellner, Dr. Höfinger und Dr. Kail als Richter, im Beisein des
Schriftführers Mag. Valenta, über die Beschwerde
der Z GmbH & Co KG in Wien, vertreten durch KPMG Alpen-
Treuhand GmbH, Wirtschaftsprüfungs- und
Steuerberatungsgesellschaft in Wien IX, Kolingasse 19, gegen den
Bescheid der Niederösterreichischen Landesregierung vom
4. Februar 2002, IVW3-BE-4150101/013-2002, betreffend
Getränkesteuer für Jänner und Februar 2000 (mitbeteiligte Partei:
Gemeindeverband für Umweltschutz und Abgabeneinhebung im Bezirk
Melk), zu Recht erkannt:

Spruch
Der angefochtene Bescheid wird wegen Rechtswidrigkeit seines
Inhalts aufgehoben.
Das Land Niederösterreich hat der Beschwerdeführerin
Aufwendungen in der Höhe von 1.088 EUR binnen zwei Wochen bei
sonstiger Exekution zu ersetzen.

Begründung
In einem mit 31. Jänner 2000 datierten, jedoch erst am 13. März
2000 bei der Stadtgemeinde Pöchlarn eingebrachten und von dieser
an den mitbeteiligten Gemeindeverband für Umweltschutz und
Abgabeneinhebung am 14. März 2000 weitergereichten Schriftsatz
beantragte die Rechtsvorgängerin der Beschwerdeführerin, die
Getränkesteuer für Jänner 2000 bescheidmäßig festzusetzen und die
für diesen Monat entrichtete Getränkesteuer zurückzuzahlen. Mit
einem weiteren, am 19. April 2000 bei der mitbeteiligten Partei
eingelangten Schriftsatz vom 31. März 2000 wurde die
bescheidmäßige Festsetzung der Getränkesteuer für Februar 2000 und
die Rückzahlung der entrichteten Getränkesteuer beantragt.
Mit Bescheid der Abgabenbehörde erster Instanz vom 29. Mai
2001 wurde die Getränkesteuer für Jänner und Februar 2000
einschließlich der auf alkoholische Getränke entfallenden Steuer
mit S 23.546,-- festgesetzt. Der Rückzahlungsantrag wurde
gleichzeitig abgewiesen.
In der Berufung gegen diesen Bescheid wurde unter anderem
ausgeführt, die Getränkesteuer auf alkoholische Getränke, für die
die Steuerschuld zwar vor dem 9. März 2000 entstanden ist, die
jedoch erst nach diesem Datum fällig oder entrichtet worden ist,
sei von der Rückwirkungsbeschränkung des Urteils des EuGH vom
9. März 2000, Rechtssache C-437/97, nicht erfasst.
Gegen eine die Berufung abweisende Berufungsvorentscheidung
wurde der Antrag auf Entscheidung durch die Abgabenbehörde zweiter
Instanz erhoben. In dieser Eingabe wurde insbesondere ausgeführt,
weder die Entrichtung der Abgabe sei vor dem 9. März 2000 erfolgt,
noch sei die Fälligkeit vor diesem Zeitpunkt eingetreten.
Mit Bescheid des Verbandsvorstandes der mitbeteiligten Partei
vom 14. November 2001 wurde die Berufung als unbegründet
abgewiesen. Die Vorstellung gegen diesen Bescheid wurde mit dem
angefochtenen Bescheid als unbegründet abgewiesen. Die belangte
Behörde ging in der Begründung davon aus, dass die
Rückzahlungsanträge erst nach dem 9. März 2000 eingebracht worden
sind. Die Beschwerdeführerin habe daher einen Rechtsbehelf nicht
rechtzeitig erhoben.
In der Beschwerde gegen diesen Bescheid erachtet sich die
Beschwerdeführerin in ihrem Recht auf Festsetzung einer
gemeinschaftsrechtswidrig vorgeschriebenen Abgaben mit Null S
verletzt.
Die belangte Behörde erstattete eine Gegenschrift und legte
die Akten des Verwaltungsverfahrens vor.
Der Verwaltungsgerichtshof hat erwogen:
Im Spruchteil 2. des Urteils vom 9. März 2000 hat der
Gerichtshof der Europäischen Gemeinschaften in der Rechtssache C -
437/97, Slg. 2000, I-1157, erkannt, dass Artikel 3 Absatz 2 der
Richtlinie 92/12/EWG des Rates vom 25. Februar 1992 über das
allgemeine System, den Besitz, die Beförderung und die Kontrolle
verbrauchsteuerpflichtiger Waren der Beibehaltung einer auf
alkoholische Getränke erhobenen Steuer wie der im
Ausgangsverfahren streitigen Getränkesteuer entgegensteht.
Spruchteil 3. dieses Urteils lautet:
3. Niemand kann sich auf Artikel 3 Absatz 2 der Richtlinie
92/12 berufen, um Ansprüche betreffend Abgaben wie die Steuer auf
alkoholische Getränke, die vor Erlass dieses Urteils entrichtet
wurden oder fällig geworden sind, geltend zu machen, es sei denn,
er hätte vor diesem Zeitpunkt Klage erhoben oder einen
entsprechenden Rechtsbehelf eingelegt.
Gemäß § 5 Abs 1 des Niederösterreichischen Getränke- und
Speiseeissteuergesetzes 1992, LGBl. Nr. 3701-4, in der auf den
Beschwerdefall anzuwendenden Fassung entsteht die Steuerschuld im
Zeitpunkt der Veräußerung des Getränkes oder des Speiseeises. Nach
Abs 2 dieser Gesetzesstelle hat der Steuerpflichtige für jeden
Kalendermonat bis zum 15. des zweitfolgenden Monats bei der
Gemeinde eine Steuererklärung über die getätigten Veräußerungen
von Getränken und von Speiseeis einzureichen und die Steuer zu
entrichten.
Nach Spruchteil 2. des oben angeführten EuGH-Urteils
widerspricht somit die Erhebung von Getränkesteuer auf
alkoholische Getränke dem Gemeinschaftsrecht. Die im Spruchteil 3.
vorgesehene Beschränkung des zeitlichen Anwendungsbereichs dieses
Urteils bezieht sich allein auf derartige Ansprüche betreffend
solcher Abgaben, die vor dem 9. März 2000 entrichtet wurden oder
fällig geworden sind. Ist keine dieser beiden Voraussetzungen
gegeben, so kommt eine Erhebung der Abgabe nicht in Betracht. Auf
die Frage, in welchem Zeitpunkt ein Rechtsbehelf gegen eine Abgabe
erhoben wurde, die erst nach dem 9. März 2000 fällig und vor
diesem Zeitpunkt auch nicht entrichtet worden ist, kommt es dabei
nicht an.
Im Verwaltungsverfahren wurde von der Beschwerdeführerin
ausdrücklich geltend gemacht, dass die in Rede stehenden Abgaben
auf alkoholische Getränke für die Zeiträume Jänner und Februar
2000 vor dem 9. März 2000 weder entrichtet noch (nämlich gemäß § 5
Abs 2 NÖ Getränke- und Speiseeissteuergesetz 1992) fällig geworden
sind.
Weder die Abgabenbehörden noch die Vorstellungsbehörden haben
sich mit diesem Vorbringen auseinandergesetzt. Da die belangte
Behörde somit im angefochtenen Bescheid insbesondere verkannt hat,
dass die Regelung im Spruchteil 3 des EuGH-Urteils über dessen
zeitlichen Anwendungsbereich auf die in Rede stehenden Abgaben gar
nicht anzuwenden ist, hat sie den Bescheid mit inhaltlicher
Rechtswidrigkeit belastet. Er war daher gemäß § 42 Abs 2 Z 1 VwGG
aufzuheben.
Die Kostenentscheidung stützt sich auf die §§ 47 iVm der VO
BGBl II Nr. 501/2001.

Wien, am 18. Juni 2002

 

Beschwerde 2002/16/0070 am 18. Juni 2002 im gleichen Sinn erledigt.

RIS-Dokumentnummern: JWR/2002160069/20020618X01 und JWT/2002160069/20020618X00