VERFASSUNGSGERICHTSHOF
- WIENER "RÜCKZAHLUNGSSPERRE" VERFASSUNGSKONFORM"
Artikel von Dr. Karl Kamhuber (Leiter des Referates Steuern in der
Wiener Finanzverwaltung) in der ÖGZ 1/2001
Quelle: http://staedtebund.wien.at/; Stand 8.7.2001
Am 14. Dezember 2000 wurde in einer Presseaussendung des Präsidiums bekannt gegeben, dass der Verfassungsgerichtshof mit seinem Erkenntnis vom 29. November 2000, Zl. B 1735/00-8 die als Rückzahlungssperre qualifizierte Regelung der Wiener Abgabenordnung (§ 185 Abs. 3 und 4 WAO in der Fassung der Novelle LGBl. für Wien Nr. 9/2000) als verfassungskonform beurteilt hat.
I. Sachverhalt
Anlass für diese Entscheidung war die Beschwerde einer Gesellschaft, die
in Wien ein Restaurant betreibt; diese Beschwerdeführerin hat am 10. Februar
1999 für das Jahr 1998 eine Getränkesteuererklärung mit S 0,
abgegeben und die Rückzahlung der für dieses Kalenderjahr bezahlten
Getränkesteuer gemäß § 185 WAO beantragt. Die Abgabenbehörde
I. Instanz hat mit Bescheid vom 15. Juni 1999 die gesamte Getränkesteuer
vorgeschrieben und den Rückzahlungsantrag abgewiesen; mit dem angefochtenen
Berufungsbescheid der Abgabenberufungskommission Wien vom 6. September 2000
wurde der Berufung, soweit sie gegen die Vorschreibung von Getränkesteuer
für alkoholische Getränke gerichtet war, Folge gegeben aber die Rückzahlung
des sich solcherart ergebenden Guthabens jedoch verweigert.
II. Rechtslage in Wien
Für den mit Beschwerde bekämpften Berufungsbescheid und das Verfahren
gemäß Art. 144 B-VG war folgende Rechtslage relevant:
Nach § 185 Abs. 1 WAO kann der Abgabepflichtige die Rückzahlung von Guthaben (§ 162 Abs. 2) beantragen. Nach § 185 Abs. 2 WAO können gegen den Rückzahlungsbetrag der Höhe nach festgesetzte Abgabenschuldigkeiten aufgerechnet werden, die der Abgabepflichtige nicht später als drei Monate nach der Stellung des Rückzahlungsantrages zu entrichten haben wird.
Durch Artikel I des Gesetzes, mit dem die Wiener Abgabenordnung geändert wird, LGBl. für Wien Nr. 9/2000, wurden dem § 185 die folgenden Absätze 3 und 4 angefügt:
(3) Ein Rückzahlungsanspruch steht insoweit nicht zu, als die Abgabe wirtschaftlich von einem Anderen als dem Abgabepflichtigen getragen wurde. Soweit eine derart überwälzte Abgabe noch nicht entrichtet wurde, hat die Abgabenbehörde diese mit gesondertem Bescheid vorzuschreiben.
(4) Abs. 3 ist nicht anzuwenden auf Abgabepflichtige, soweit ihnen die Anlassfallwirkung für eine vom Verfassungsgerichtshof als rechtswidrig erkannte Abgabenvorschrift zukommt.
Nach Artikel II dieses Gesetzes ist Artikel I auch auf vor der Kundmachung dieses Gesetzes entstandene Steuerschuldverhältnisse anzuwenden.
Durch eine neuerliche Novelle zur WAO, beschlossen am 20. Oktober 2000, soll dem Absatz 3, erster Satz, ein Halbsatz folgenden Inhaltes angefügt werden:
... insoweit führt die Herabsetzung der Abgabenfestsetzung durch Selbstbemessung oder Abgabenbescheid auch nicht zu einer Gutschrift.
Die Kundmachung dieser Novelle war am Tag des Erkenntnisses noch nicht erfolgt.
III. Zuständigkeit
des Landesgesetzgebers für die Erlassung der Rückzahlungssperre
Der Verfassungsgerichtshof geht auf Basis der einschlägigen Bestimmungen
der Finanzverfassung (insbesondere §§ 7 Abs. 5 und 8 Abs. 1 F-VG 1948)
davon aus, dass Regelungen, wie die in der WAO verankerte Rückzahlungssperre,
Vorschriften des materiellen Steuerrechtes sind, zu deren Erlassung der Landesgesetzgeber
im sachlichen Geltungsbereich der Norm zuständig ist. Diese Zuständigkeit
erstreckt sich auch auf Abgaben, die den Gemeinden durch eine bundesgesetzliche
Ermächtigung nach § 7 Abs. 5 F-VG 1948 in das freie Beschlussrecht
übertragen worden sind; der Anwendung dieser Rückzahlungssperre
auf die Getränkesteuer stehen somit kompetenzrechtliche Hindernisse nicht
entgegen.
IV. Das Anknüpfen
des Gesetzgebers an Überwälzungsvorgänge ist zulässig
Aus der Beschränkung des Harmonisierungsauftrages auf indirekte Steuern
(Art. 93 EGV) ist abzuleiten, dass diese Abgaben in besonderem Maße zu
Wettbewerbsverzerrungen führen können, da die Steuerbelastung im Preis
auf die Verbraucher überwälzt wird. Auch die auf Artikel 93 EGV gegründeten
sekundär-rechtlichen Rechtsakte der Gemeinschaft und die dazu ergangene
Judikatur des EuGH beruhen auf dieser Vorstellung, dass die Belastung durch
indirekte Steuern letztlich vom Verbraucher getragen wird. Es ist daher nicht
zweifelhaft, dass dem Vorbehalt des Art. 3 Abs. 2 der Verbrauchsteuerrichtlinie
nur Steuern unterliegen können, die nach ihrer Ausgestaltung darauf angelegt
sind, in den Preis von Waren einzugehen. Nur unter dieser Prämisse besteht
nach Auffassung des VfGH eine rechtliche Grundlage (und im Hinblick auf Art.
93 EGV eine wirtschaftliche Rechtfertigung) dafür, eine Steuer wie die
österreichische Getränkesteuer einer Überprüfung wegen eines
allfälligen Verstoßes gegen die Verbrauchsteuerrichtlinie zu unterziehen.
Vor dem Hintergrund dieser Gemeinschaftsrechtslage sind Überwälzungsvorgänge
daher rechtlich relevant und taugliche Anknüpfungspunkte für den Gesetzgeber.
V. Die sachliche Rechtfertigung
für die Rückzahlungssperre
Der VfGH hat somit keine Zweifel, dass es sich bei der Getränkesteuer um
eine indirekte Steuer handelt, bei der der Gesetzgeber davon ausgehen durfte,
dass sie typischerweise in den Preis von bestimmten Waren eingeht und somit
auf den Letztverbraucher überwälzt wird. War es dem Abgabepflichtigen
aber möglich, eine später rückwirkend als rechtswidrig
eingestufte Abgabe auf die Letztverbraucher zu überwälzen,
so steht es im rechtspolitischen Ermessen des Gesetzgebers, die Erstattung solcher
Abgaben auszuschließen; andernfalls würde ein solcher Abgabepflichtiger
offenbar einen Betrag erstattet erhalten, den er selbst gar nicht getragen hat
und damit eine Bereicherung erfahren. Der VfGH übersieht dabei nicht, dass
in einem solchen Fall zur Erzielung eines wirtschaftlich befriedigenden Ergebnisses
eigentlich der Letztverbraucher als Steuerträger in den Genuss einer allfälligen
Erstattung kommen sollte. Da bei den von der Vorschrift erfassten Steuern aber
die Umstände regelmäßig so liegen, dass es wegen des Zeitablaufs,
der Massenhaftigkeit der betroffenen Vorgänge, wegen Beweisschwierigkeiten
oder wegen sonstiger Umstände praktisch ausgeschlossen erscheint, eine
solche Rückabwicklung in umfassender und gleichmäßiger Weise
vorzunehmen, erscheint dem VfGH eine Regelung, die in solchen Fällen eine
Bereicherung des Steuerschuldners ausschließen will und den Abgabenertrag
dem Steuergläubiger belässt, nicht als unsachlich.
VI. Die Konformität
mit dem Gemeinschaftsrecht liegt vor
Der EuGH hat wiederholt ausgesprochen, dass der Schutz der in diesem Bereich
im Gemeinschaftsrecht gewährleisteten Rechte es nicht erfordert, zu Unrecht
erhobene Abgaben unter Bedingungen zu erstatten, die zu einer ungerechtfertigten
Bereicherung der Berechtigten führen würden.
Der VfGH beschäftigt sich eingehend mit dieser Judikatur, zitiert den bekannten zweiten Leitsatz im Urteil Dilexport, Rs. C-343/96, und kommt zur Feststellung, dass es im vorliegenden Fall keineswegs generell ausgeschlossen wäre, die Frage zu beurteilen, ob im Einzelfall eine Überwälzung stattgefunden hat und dass dem Abgabepflichtigen in diesem Zusammenhang auch keine unzumutbaren bzw. offenkundig gemeinschaftsrechtswidrigen Beweislasten auferlegt würden (Grundsatz der Amtswegigkeit bei Ermittlung der maßgebenden Verhältnisse.
Insgesamt betrachtet liegt daher nach Auffassung des VfGH eine offensichtliche (und daher verfassungsrechtlich bedenkliche) Gemeinschaftsrechtswidrigkeit nicht vor.
VII. Die Rückzahlungssperregilt
auch für die Verrechnung von Gutschriften
Der VfGH hat klargestellt, dass der Wortlaut des § 185 Abs. 3 WAO eine
Interpretation zulässt, welche die Rückzahlungssperre auch auf die
Verrechnung von Gutschriften zur Tilgung anderer Abgabenschuldigkeiten ausdehnt
und dass soferne erforderlich eine solche Interpretation zur Erzielung
eines verfassungskonformen Ergebnisses auch geboten ist.
Eine authentische Interpretation in diesem Sinne enthält auch die unter Punkt II erwähnte (neuerliche) Novelle zur WAO.
VIII. Die ausdrücklich
angeordnete Rückwirkung der Rückzahlungssperre ist verfassungskonform
Der VfGH konnte die Frage, ob die Abgabepflichtigen berechtigterweise auf den
Fortbestand der früheren Rechtslage (Rückerstattung ohne Prüfung
von Überwälzungsvorgängen) vertrauen durften, auf sich beruhen
lassen; er hatte nämlich auf der anderen Seite zu berücksichtigen,
dass der EuGH in seinem Urteil den erhebungsberechtigten Gemeinden ein berechtigtes
Vertrauen in den Fortbestand der Rechtslage (und in die daraus resultierenden
Steuereinnahmen) zubilligte und sie deswegen vor den finanziellen Konsequenzen
einer vollständigen Rückerstattung der Getränkesteuer schützen
wollte.
Bei Abwägung des Ausmaßes des Eingriffes einerseits und des Gewichtes der für die Rückwirkung sprechenden Gründe andererseits (siehe Entscheidung des EuGH vom 9. März 2000, Rs. C-437/97, insb. Rdnr. 56, 58 und 59) hat der VfGH die angeordnete Rückwirkung der Rückzahlungssperre als verfassungskonform qualifiziert.
IX. Resümee und Ausblick
Die dargestellte Entscheidung des Verfassungsgerichtshofes hat wegen
der Gleichartigkeit der Rückzahlungssperren in den Ländern
österreichweite Bedeutung; die Abgabenbehörden sind mit dieser
grundsätzlichen Entscheidung in hohem Maße legitimiert, die bestehenden
Rückzahlungssperren (auch für Gutschriften) in den Getränkesteuerverfahren
weiterhin anzuwenden.
In weiterer Folge wird
es ausschließlich vom Verwaltungsgerichtshof abhängen, in welcher
Art und Weise die entsprechenden Verfahren weiterbehandelt werden. Da sich der
VfGH in seiner Entscheidung bereits intensiv mit den Aspekten des Gemeinschaftsrechtes
beschäftigt hat, könnte sich die unendliche Geschichte der Getränkesteuer
nunmehr ihrem Ende zuneigen.
09. Jänner 2001